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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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dieses arme Geschöpf in deinen Mantel und lege sie neben das Feuer. Wenn dieser Ort sich wieder aus dem Schatten der Urth hebt, will ich mir die Wunde noch einmal ansehen.«
    Unschlüssig blieb ich, Jolenta auf den Armen, stehen. Die Sibylle schien uns durchaus freundlich gesinnt zu sein, aber ihre Metapher hatte mich unliebsam an die Undine gemahnt; und als ich ihr Gesicht betrachtete, waren mir Zweifel gekommen, ob sie überhaupt eine Greisin wäre, denn allzu deutlich waren mir noch die garstigen Fratzen der Cacogens gegenwärtig, die ihre Masken abgeworfen hatten, als Baldanders unter ihnen wütete.
    »Du beschämst mich, Mutter«, äußerte Merryn. »Soll ich ihn rufen?«
    »Er hat uns gehört. Er wird auch kommen, ohne daß du ihn rufst.«
    Sie hatte recht. Schon vernahm ich knirschende Tritte auf den Ziegeln der anderen Dachhälfte.
    »Du bist geängstigt. Wäre es nicht besser, diese Frau niederzulegen, wie ich empfohlen, damit du dein Schwert ziehen und deine Geliebte verteidigen könntest? Allerdings wird das nicht erforderlich sein.«
    Als sie zu Ende gesprochen hatte, gewahrte ich einen hohen Hut, einen großen Kopf und breite Schultern, die sich vom Nachthimmel abzeichneten. Ich legte Jolenta neben Dorcas und zückte Terminus Est.
    »Das ist nicht erforderlich«, verkündete eine tiefe Stimme. »Ganz und gar nicht erforderlich, junger Freund. Ich wär’ schon eher vorgekommen, um unsre Bekanntschaft zu erneuern, wüßt’ aber nicht, ob die Chatelaine hier das wünsche. Mein Herr – und dein Herr – läßt grüßen.« Es war Hildegrin.
     

 
XXXI
 
Die Läuterung
     
    Richte deinem Herrn aus, ich habe seine Botschaft abgeliefert«, sagte ich.
    Hildegrin lächelte. »Und hast du eine Antwort zurückzubringen? Ich bin wohlgemerkt vom eichenen Penetralium.«
    »Nein«, entgegnete ich. »Keine.«
    Dorcas blickte auf. »Aber ich. Jemand im Garten des Hauses Absolut sagte mir, ich würde jemand begegnen, der sich als solcher ausgäbe, und ich hätte ihm mitzuteilen: ›Wenn die Bäume ausgeschlagen haben, muß der Wald gen Norden marschieren.‹«
    Hildegrin legte einen Finger an seine Nase. »Der ganze Wald? Hat es so geheißen?«
    »Er sagte wortwörtlich, was ich wiedergab, mehr nicht.«
    »Dorcas«, fragte ich, »warum hast du mir das nicht erzählt?«
    »Ich hatte kaum Gelegenheit, allein mit dir zu sprechen, seit wir uns an der Kreuzung wiederfanden. Außerdem ahnte ich, daß es ein gefährliches Wissen sei. Ich sah keinen Grund, dir diese Gefahr aufzuhalsen. Es war der Mann, der Dr. Talos das viele Geld gegeben hatte, der mir das sagte. Allerdings hat er es nicht Dr. Talos mitgeteilt – das weiß ich, weil ich ihnen zugehört habe. Er sagte nur, er sei dein Freund, und vertraute mir dann die Nachricht an.«
    »Mit dem Auftrag, sie mir auszurichten?«
    Dorcas schüttelte den Kopf.
    Das Kichern aus Hildegrins rauher Kehle hörte sich an, als käme es von unter der Erde. »Nun, das macht doch gar nichts mehr, oder? Sie wurde abgeliefert, und mir persönlich hätte es offengestanden nichts ausgemacht, wenn es noch ein bißchen gedauert hätte. Wir alle hier sind Freunde, bis auf das kranke Mädchen vielleicht, aber es kann wohl nicht hören, was wir sagen, oder verstehen, was wir meinen, falls es uns hört.
    Wie, sagtest du, heißt die Kranke? Ich konnte euch nicht allzu deutlich verstehen, als ich drüben auf der anderen Seite war.«
    »Deswegen nicht, weil ich ihn gar nicht sagte«, erklärte ich ihm. »Aber sie heißt Jolenta.« Beim Aussprechen von Jolenta blickte ich zu ihr, erkannte aber im Schein des Feuers, daß sie nicht mehr Jolenta war – nichts von der schönen Dame, die Jonas geliebt hatte, war in diesem hageren Gesicht verblieben.
    »Und das war ein Vampyrbiß? Müssen in letzter Zeit ungewöhnlich häufig auftreten. Ich wurde selbst ein paar Mal gebissen.« Ich warf ihm einen durchdringenen Blick zu, und er fügte hinzu: »O ja, ich hab’ sie schon einmal gesehen, junger Herr, genau wie dich und die kleine Dorcas. Du hast doch nicht geglaubt, ich ließe dich und das andere Mädel einfach gehen aus dem Botanischen Garten, oder? Nicht, wo du davon sprachst, nach Norden zu ziehen und dich mit einem Offizier der Septentrionen zu schlagen. Ich sah den Kampf und sah dich den jungen Burschen köpfen – ich half übrigens bei seiner Festnahme, weil ich dachte, er sei bestimmt aus dem Haus Absolut –, und ich war hinten im Publikum, als ihr in jener Nacht euer Stück aufführtet. Ich

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