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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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die Tiere verschwanden. Sie machten sich, zunächst noch schwächlich, daran, ihre Stadt wiederaufzubauen; Steine wurden gestemmt, und aus Asche geformte Balken wurden in den errichteten Mauern verankert. Die Leute, die zuerst nur wie wandelnde Leichname gewirkt hatten, sammelten bei ihrem Werk Kraft und wurden ein säbelbeiniges Volk mit dem Gang von Matrosen, das mit starken, breiten Schultern gigantische Steine rollte. Bald war ihre Stadt wieder ganz, und wir warteten, was nun geschähe.
    Trommeln brachen die Stille der Nacht; dem Klang nach zu urteilen hatte bei ihrem letzten Ertönen ein Wald die Stadt umgeben, denn die Schläge hallten wider, wie ein Laut nur zwischen mächtigen Baumstämmen widerhallt. Ein Schamane mit geschorenem Haupt schritt durch die Straße, nackt und bemalt mit so ausdrucksvollen Schriftzeichen, wie ich sie noch nie gesehen hatte; die bloße Form der Wörter schrie einem die Bedeutung schier entgegen.
    Ihm folgten, hintereinander im Gleichschritt gehend und Kapriolen machend , hundert oder mehr Tänzer, die Hände jeweils auf den Kopf des Vorangehenden gelegt. Ihre Gesichter waren nach oben gerichtet, so daß ich mich fragte (und noch frage), ob sie mit ihrem Tanz nicht die hundertäugige Schlange, die wir Sibylle nannten, nachahmten. Langsam ringelten und wanden sie sich die Straße auf und ab, um den Schamanen herum und wieder zurück, bis sie an den Eingang des Hauses gelangten, von dem aus wir zusahen. Wie mit einem Donnerschlag fiel die Steintafel der Tür um. Ein Duft wie von Myrrhe und Rosen drang hervor.
    Heraus trat ein Mann, um die Tänzer zu begrüßen. Hätte er auch hundert Arme gehabt oder das Haupt in den Händen getragen, ich wäre nicht verblüffter gewesen, denn sein Gesicht kannte ich seit meiner Kindheit von der bronzenen Totenstatue im Mausoleum, worin ich als Knabe oft gespielt hatte. Reife aus gediegenem Gold schmückten seine Arme, besetzt mit Hyazinthen und Opalen, Karneolen und funkelnden Smaragden. Gemessenen Schrittes ging er in die Mitte des Reigens der sich wiegenden Tänzer. Dann kehrte er sich uns zu und erhob die Arme. Er blickte zu uns, und ich wußte, daß von den Hunderten dort Versammelten er allein uns wirklich sah.
    Ich war so verzückt von dem Schauspiel unter mir, daß ich nicht bemerkt hatte, wie Jonas vom Dach gestiegen war. Nun huschte er – wenn man bei einem so grobschlächtigen Mann von Huschen sprechen kann – in die Menge und ergriff Apu-Punchau.
    Was nun folgte, kann ich kaum beschreiben. In gewisser Weise war es wie das kleine Drama im Haus des gelben Waldes im Botanischen Garten; dennoch war’s viel seltsamer, wenn auch vielleicht nur deswegen, weil ich damals gewußt hatte, daß die Frau und ihr Bruder und der Wilde unter einem Bann standen. Nun war mir fast, als seien Hildegrin, Dorcas und ich einem Zauber unterlegen. Die Tänzer konnten Hildegrin bestimmt nicht sehen, aber irgendwo wurden sie ihn gewahr, denn sie beschrien ihn und schlugen mit ihren gezackten Steinkeulen durch die Luft.
    Apu-Punchau, dessen war ich mir sicher, sah ihn bestimmt, wie er uns auch auf dem Dach und wie Isangoma Agia und mich gesehen hatten. Dennoch glaubte ich nicht, daß er Hildegrin so wie ich ihn gesehen hat; mag sein, daß ihm das, was er gesehen hat, so seltsam vorgekommen ist wie mir die Sibylle. Hildegrin hielt ihn fest, konnte ihn aber nicht überwältigen. Apu-Punchau wehrte sich, konnte sich aber nicht losreißen. Hildegrin blickte zu mir empor und schrie um Hilfe.
    Ich weiß nicht, warum ich seinem Ruf nachgekommen bin. Es war mir kein bewußtes Bedürfnis mehr, Vodalus und seinen Zielen zu dienen. Vielleicht war es eine Nachwirkung des Alzabos oder nur die Erinnerung daran, daß Hildegrin Dorcas und mich über den Vogelsee gerudert hatte.
    Ich versuchte, die säbelbeinigen Männer zurückzustoßen, aber einer der ziellosen Schläge traf mich an der Schläfe, so daß ich auf die Knie sackte. Als ich mich wieder erhob, hatte ich Apu-Punchau zwischen den hüpfenden, grölenden Tänzern offenbar aus den Augen verloren. Statt dessen sah ich zwei Hildegrins; einen, der mit mir rang, und einen, der gegen etwas Unsichtbares kämpfte. Entsetzt schüttelte ich den einen ab und versuchte, dem anderen zu Hilfe zu eilen.
    »Severian!«
    Der Regen, der auf mein nach oben gekehrtes Gesicht prasselte, weckte mich – dicke Tropfen kalten Regens, wie Hagel stechend. Donner rollte über der Pampa. Zuerst glaubte ich, blind zu sein; dann sah ich im Blitz

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