Die Kleinbürger (German Edition)
sechsmal im Monat Anekdoten von den Aufführungen des »Dorfpropheten« und machte Jean-Jacques Rousseau wundervoll nach. Colleville und Thuillier waren unzertrennliche Freunde; sie hatten keine Geheimnisse voreinander, und ihre Freundschaft, die mit fünfzehn Jahren begonnen hatte, war bis zum Jahre 1839 ungetrübt geblieben.
Colleville war einer von den Beamten, die in den Bureaus mit »Betriebsvetter« bezeichnet werden. Diese Beamten zeichnen sich durch ihre Betriebsamkeit aus. Colleville, ein guter Musiker, verdankte dem Namen und dem Einflusse seines Vaters die Stelle als erster Klarinettist an der Komischen Oper, und solange er Junggeselle war, teilte er, da er etwas mehr als Thuillier hatte, häufig mit seinem Freunde. Aber im Gegensatz zu Thuillier schloß Colleville eine Neigungsheirat, indem er zur Frau Fräulein Flavia nahm, die natürliche Tochter einer berühmten Tänzerin an der Oper, ein angebliches Kind von du Bourguier, einem der reichsten Lieferanten dieser Zeit, der, nachdem er sich im Jahre 1800 ruiniert hatte, sich um so weniger um seine Tochter kümmerte, als er Zweifel an der Treue der berühmten Tänzerin hegte.
Ihrem Äußeren und ihrer Herkunft nach sah sich Flavia zu einem ziemlich traurigen Handwerk bestimmt, als Colleville, der häufig mit der reichen ersten Kraft der Oper zu tun hatte, sich in Flavia verliebte und sie heiratete. Der Fürst Galathionne, der im September 1815 der Protektor der berühmten Tänzerin war, die damals am Ende ihrer glänzenden Laufbahn stand, gab Flavia eine Mitgift von zwanzigtausend Franken, und die Mutter fügte dem eine prachtvolle Ausstattung hinzu. Die ständigen Gäste des Hauses und die Kameraden an der Oper schenkten Schmucksachen und Geschirr, so daß Collevilles Haushalt viel reicher an Überflüssigem als an Kapital war. Flavia, im Überfluß aufgewachsen, bezog zuerst eine reizende Wohnung, die der Lieferant ihrer Mutter möblierte, und hier thronte die junge Frau, die voll Geschmack für die Künste, die Künstler und für eine gewisse Eleganz des Lebens war.
Frau Colleville war hübsch und pikant, geistvoll, lustig, liebenswürdig und, alles zusammengenommen, ein guter Kerl. Im Alter von dreiundvierzig Jahren verließ die Tänzerin das Theater und zog sich aufs Land zurück, und so sah sich ihre Tochter der Hilfsquellen beraubt, die ihr ihre verschwenderische Üppigkeit gewährt hatte. Frau Colleville führte ein sehr angenehmes Haus, das aber außerordentlich kostspielig war. Sie gebar zwischen den Jahren 1816 und 1826 fünf Kinder. Abends Musiker, führte Colleville morgens von sieben bis neun Uhr einem Kaufmann die Bücher. Um zehn Uhr erschien er in seinem Bureau. Und indem er so abends in ein Stück Holz blies und morgens an der doppelten Buchführung schrieb, verdiente er sich jährlich sieben- bis achttausend Franken.
Frau Colleville spielte die vornehme Dame; sie empfing Mittwochs, hatte alle Monat ein Konzert bei sich und gab alle vierzehn Tage ein Diner. Colleville sah sie nur beim Essen und spät, wenn er um Mitternacht heimkehrte; oft war sie dann selbst noch nicht zu Hause. Sie ging ins Theater, da sie manchmal Logenplätze geschenkt bekam, und benachrichtigte Colleville mit ein paar Worten, daß er sie in dem und dem Hause, wo sie tanzte oder soupierte, abholen solle. Man speiste vortrefflich bei Frau Colleville, und die etwas gemischte Gesellschaft amüsierte sich dort ausgezeichnet; sie sah berühmte Schauspielerinnen bei sich, Maler, Schriftsteller und einige reiche Leute. Frau Colleville war ebenso elegant wie Tullia, die erste Tänzerin an der Oper, die sie oft besuchte; aber wenn die Collevilles auch alles, was sie hatten, verbrauchten und am Monatsende häufig in Verlegenheit waren, so machte Flavia doch niemals Schulden.
Colleville war sehr glücklich; er liebte seine Frau immer noch und war immer noch ihr bester Freund. Stets mit liebevollem Lächeln und mit gewinnender Herzlichkeit empfangen, unterwarf er sich ihrer reizenden Art und ihrem unwiderstehlichen Zauber. Die wilde Arbeitslust, die er in seinen drei Berufen entwickelte, entsprach übrigens seinem Charakter und seinem Temperament. Er war ein kräftiger Kerl, von frischer Gesichtsfarbe, gutmütig, freigebig und voll guter Laune. Im Verlaufe von zehn Jahren gab es kein einziges Mal Streit in seinem Hause. In den Bureaus galt er als ein Leichtfuß, wofür man dort alle Künstler hielt, und oberflächliche Leute hielten seine beständige Arbeitshast für das Hin
Weitere Kostenlose Bücher