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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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und Her eines Wirrkopfes.
    Colleville war so klug, sich dumm zu stellen; er rühmte sein häusliches Glück und gab sich die größte Mühe, Anagramme zu fabrizieren, um als ein Mann zu erscheinen, der von dieser Leidenschaft ganz in Anspruch genommen wird. Die Beamten seiner Abteilung im Ministerium, die Bureauchefs, ja selbst die Abteilungsvorsteher kamen zu seinen Konzerten; von Zeit zu Zeit und bei passender Gelegenheit verteilte er unter der Hand Theaterbilletts, denn er war auf eine außerordentliche Nachsicht bei seinem beständigen Wegbleiben vom Dienste angewiesen. Die Proben nahmen ihm die Hälfte seiner Dienststunden weg, aber seine vom Vater ererbten musikalischen Fähigkeiten waren bedeutend genug, um ihm zu erlauben, nur bei den Generalproben anwesend zu sein. Dank den Beziehungen der Frau Colleville genügten das Theater und das Ministerium den Bedürfnissen des ehrenwerten Vielarbeiters, der übrigens seinerseits einen kleinen jungen Menschen, den ihm seine Frau warm empfohlen hatte, verhätschelte, einen Musiker mit großen Zukunftshoffnungen, der ihn im Orchester vertrat und sein Nachfolger werden sollte.
    In der Tat wurde um das Jahr 1827, als Colleville seinen Abschied nahm, dieser junge Mann erster Klarinettist. Alle Kritik, die Flavia erfuhr, bestand in dem Satze: Sie ist »eine kleine Spur« kokett, die Frau Colleville! Die älteste Tochter, geboren 1816, war das leibhaftige Ebenbild des guten Colleville. Im Jahre 1818 bevorzugte Frau Colleville die Kavallerie vor allem anderen, selbst vor den Künsten, und zeichnete einen Unterleutnant der Dragoner von Saint-Chamans, den jungen reichen Charles Gondreville aus, der später im spanischen Feldzuge fiel; inzwischen hatte sie ein zweites Kind, einen Sohn, geboren, den sie für die militärische Karriere bestimmte. 1820 erklärte sie die Banken für die Ernährer der Industrie und die Stützen des Staates, und der große Keller, der berühmte Redner, war ihr Idol; sie bekam damals einen Sohn, Franz, den sie später Kaufmann werden lassen wollte, und dem die Protektion Kellers sicher niemals fehlen würde. Gegen Ende des Jahres 1820 fühlte Thuillier, der intime Freund von Herrn und Frau Colleville und Flavias Bewunderer, das Bedürfnis, seinen Schmerz am Busen dieser vortrefflichen Frau auszuweinen; seit sechs Jahren machte er vergebliche Versuche, ein Kind zu bekommen; der liebe Gott segnete seine Bemühungen nicht, denn die arme Frau Thuillier verrichtete ihre neuntägigen Andachten vergeblich; und sie war dazu bis nach Notre Dame de Liesse gegangen! Er schilderte ihr Celeste nach allen Richtungen hin, und die Worte: »Armer Thuillier!« fielen von den Lippen der Frau Colleville, die auch ihrerseits ziemlich betrübt war; sie hatte damals keine ausgesprochene Vorliebe für irgend jemanden. Und so weinte auch sie ihren Kummer an Thuilliers Herzen aus. Der große Keller, dieser Heros der liberalen Partei, war in Wirklichkeit ein kleinlicher Mensch; sie hatte die Kehrseite der Berühmtheiten, die Torheiten der Bankwelt, die Härte eines Volkstribunen kennengelernt. Der Redner sprach nur in der Kammer und hatte sich ihr gegenüber sehr schlecht benommen; Thuillier war darüber entrüstet. »Nur die Einfältigen verstehen zu lieben,« sagte er, »nehmen Sie mich doch!« Es hieß, daß der schöne Thuillier Frau Colleville ein klein wenig den Hof mache, und er wurde einer ihrer »Anbeter«, ein Wort, das aus der Zeit des Kaiserreichs stammte.
    »Ach, du bemühst dich um meine Frau!« sagte Colleville lachend zu ihm; »nimm dich in acht, sie wird dich ebenso wie alle die andern abblitzen lassen.«

Eine feine Wendung, mit der Colleville seine Manneswürde in den Bureaus aufrecht erhielt. Von 1820 bis 1821 fühlte sich Thuillier in seiner Eigenschaft als Hausfreund veranlaßt, Colleville, der ihm früher so oft ausgeholfen hatte, beizuspringen, und lieh im Verlaufe von anderthalb Jahren der Familie Colleville etwa zehntausend Franken, wovon niemals die Rede sein sollte. Im Frühjahr 1821 wurde Frau Colleville von einem reizenden Mädchen entbunden, dessen Paten Herr und Frau Thuillier waren; sie wurde deshalb Celeste-Louise-Caroline-Brigitte genannt. Denn auch Fräulein Thuillier wollte dem kleinen Engel einen ihrer Vornamen geben.
    Der Name Caroline war eine Aufmerksamkeit für Colleville. Die alte Frau Lemprun nahm es auf sich, das kleine Wesen zu einer Amme nach Auteuil zu geben, wo sie es unter ihrer Aufsicht hatte und wo Celeste und ihre Schwägerin

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