Die Kleinbürger (German Edition)
das Resultat seiner Bezauberung. Als der zweite Gang abgeräumt wurde, sagte Minard, der fürchtete, daß ihm Phellion zuvorkommen könnte, mit würdevoller Miene zu Thuillier:
»Mein lieber Thuillier, wenn ich Ihre Einladung angenommen habe, so geschah das, um Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen, die für Sie zu ehrenvoll ist, als daß ich nicht alle unsre Tischgenossen zu Zeugen dabei machen möchte.
Thuillier wurde bleich.
»Haben Sie etwa das Kreuz für mich bewilligt bekommen? ...« rief er aus, während er einen Blick von Theodosius auffing, dem er beweisen wollte, daß es ihm nicht an Schlauheit fehle.
»Das werden Sie eines schönen Tages auch bekommen«, erwiderte der Bürgermeister; »aber es handelt sich hier um etwas Bedeutenderes. Das Kreuz verdankt man der guten Meinung eines Ministers, während hier die Rede von einer andern Sache ist, von einer Wahl unter Zustimmung aller Ihrer Mitbürger. Mit einem Worte: eine ziemlich große Zahl von Wählern Ihres Bezirks haben ihr Auge auf Sie geworfen und wollen Sie mit ihrem Vertrauen beehren, indem sie Ihnen das Amt übertragen, den Bezirk im Munizipalrat von Paris zu vertreten, der, wie jedermann weiß, der Generalrat des Seinedepartements ist ...«
»Bravo!« rief Dutocq.
Jetzt erhob sich Phellion.
»Der Herr Bürgermeister ist mir zuvorgekommen,« sagte er bewegt, »aber es ist so schmeichelhaft für unsern Freund, der Gegenstand eifrigen Bemühens aller guten Bürger zugleich zu sein und die öffentliche Meinung der ganzen Hauptstadt auf seiner Seite zu haben, daß ich mich nicht beklagen kann, erst in zweiter Reihe zu Wort zu kommen, und im übrigen gebührt ja auch die Initiative der leitenden Stelle! ...« (Dabei verbeugte er sich respektvoll vor Minard.) »Ja, Herr Thuillier, mehrere Wähler desjenigen Teils des Bezirks, in dem sich auch meine bescheidenen Penaten befinden, haben die Absicht, Ihnen ein Mandat zu übertragen, aber bei Ihnen liegt der besondere Fall vor, daß auf Sie ein berühmter Mann hingewiesen hat ... (Sensation), ein Mann, in dem wir das Andenken an einen der edelsten Bewohner des Bezirks ehren wollten, der ihm zwanzig Jahre lang mit väterlicher Treue gedient hat; ich will hier von dem seligen Herrn Popinot sprechen, bei seinen Lebzeiten Rat am obersten Gerichtshof und unser Vertreter im Munizipalrat. Sein Neffe, der Doktor Bianchon, hat es, mit Rücksicht auf seine ihn ganz in Anspruch nehmende Tätigkeit, abgelehnt, die Pflichten, mit denen er belastet werden sollte, auf sich zu nehmen; aber indem er uns für die Ehre, die wir ihm erweisen wollten, dankte, hat er gleichzeitig, bemerken Sie das wohl, uns auf den Kandidaten des Herrn Bürgermeisters hingewiesen, als den nach seiner Meinung Fähigsten und mit Rücksicht auf seine frühere Tätigkeit Geeignetsten, das Amt eines Ädilen zu übernehmen! ...«
Und Phellion setzte sich wieder unter lärmendem Beifall.
»Auf deinen alten Freund kannst du rechnen, Thuillier«, sagte Colleville.
In diesem Augenblick wurden die Gäste durch das Schauspiel, das ihnen die alte Brigitte und Frau Thuillier boten, in Rührung versetzt. Brigitte, die bleich geworden war, als ob sie in Ohnmacht fallen wollte, rollten langsam, eine nach der andern, Tränen über die Backen, Tränen tiefster Glückseligkeit, und Frau Thuillier saß wie entgeistert da, mit starren Augen. Plötzlich sprang das alte Mädchen auf, stürzte in die Küche und schrie Josephine zu:
»Komm in den Keller! .. Wir brauchen den Wein hinter dem Holz!«
»Meine lieben Freunde,« sagte Thuillier gerührt, »das ist der schönste Tag meines Lebens, schöner noch, als es der Tag meiner Wahl sein wird, wenn ich einwilligen darf, dem Ruf meiner Mitbürger Folge zu leisten (Aber gewiß, gewiß!), denn ich fühle mich durch dreißig Jahre amtlichen Dienstes recht verbraucht, und Sie werden begreifen, daß ein Ehrenmann seine Kräfte und Fähigkeiten erst nachprüfen muß, bevor er das Amt eines Ädilen auf sich nimmt ...«
»Ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet, Herr Thuillier«, rief Phellion aus. »Verzeihung, es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich unterbreche, und noch dazu einen früheren Vorgesetzten; aber es gibt gewisse Umstände ...«
»Nehmen Sie an, nehmen Sie an!« schrie Zélie; »zum Donnerwetter, wir brauchen solche Leute wie Sie zum Regieren!«
»Fügen Sie sich, mein lieber Chef!« sagte Dutocq, »und es lebe der künftige Munizipalrat! ... Aber wir haben nichts zu trinken ...«
»Also
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