Die Kleinbürger (German Edition)
trug sie eine kleine Flasche, ähnlich einer bösen Fee, und setzte sie vor ihren Platz. Während der allgemeinen Fröhlichkeit, die dieser aus Dankbarkeit herbeigeschaffte Überfluß an guten Dingen verursachte, und den das arme Mädchen in ihrer Seligkeit mit einer Verschwendung austeilte, die ihre sonstige magere Gastfreundlichkeit, die sie alle vierzehn Tage entwickelte, Lügen strafte, erschien auf zahlreichen Schüsseln der Nachtisch: Studentenfutter in Hülle und Fülle, Orangenpyramiden, Konfekt, Eingemachtes aus der Tiefe ihrer Vorratsschränke, was alles, ohne diese besondere Veranlassung, nicht auf den Tisch gekommen wäre.
»Celeste, man soll eine Flasche Schnaps bringen, den mein Vater im Jahre 1802 gekauft hat; mach uns einen Orangensalat zurecht«, rief sie ihrer Schwägerin zu.
»Herr Phellion, machen Sie den Champagner auf; hier diese Flasche ist für Sie drei. – Herr Dutocq, nehmen Sie die hier! – Herr Colleville, Sie verstehen sich doch so gut darauf, die Korken springen zu lassen! ...«
Die beiden Dienstmädchen verteilten die Champagnergläser, und Bordeaux- und kleine Gläser; denn Josephine brachte auch noch drei Flaschen Bordeaux.
»Das ist ja der Kometenwein!« rief Thuillier aus. »Meine Herren, Sie haben meiner Schwester vollständig den Kopf verdreht.«
»Und abends gibts Punsch und Kuchen«, sagte sie. »Ich habe auch Tee aus der Apotheke holen lassen. Mein Gott, wenn ich geahnt hätte, daß es sich um eine Wahl handelt,« rief sie aus und sah ihre Schwägerin an, »dann hätte ich Puten gegeben ...«
Allgemeines Gelächter begrüßte diesen Ausspruch. »Oh, wir haben ja eine Gans gehabt«, sagte der junge Minard lächelnd.
»Heute geht es aus dem Vollen«, rief Frau Thuillier, als sie die kandierten Maronen und die Baisers erscheinen sah.
Fräulein Thuilliers Gesicht glühte; sie war prachtvoll anzuschauen, noch niemals hatte schwesterliche Liebe einen so glühenden Ausdruck gefunden.
»Für den, der sie kennt, ist das wirklich rührend!« rief Frau Colleville aus.
Die Gläser waren gefüllt, alle sahen sich an, man schien auf einen Toast zu warten, und la Peyrade sagte:
»Meine Herren, stoßen wir an auf etwas Erhabenes! ...
Alle waren erstaunt.
»Auf Fräulein Brigitte! ...«
Die ganze Gesellschaft erhob sich, man stieß an und rief: »Es lebe Fräulein Thuillier!« mit dem Überschwang wahren Empfindens, wie ihn der Enthusiasmus erzeugt.
»Meine Herren,« sagte Phellion, und las von einem mit Bleistift beschriebenem Zettel ab, »auf die Arbeit und auf den Glanz, die sich in der Person eines alten Kameraden von uns verkörpern, der ein Bürgermeister von Paris geworden ist, auf Herrn Minard und seine Gattin!«
Nach einer Pause von fünf Minuten, während der die Unterhaltung weiter ging, erhob sich Thuillier und sagte:
»Meine Herren, auf den König und das königliche Haus! ... Ich sage nichts weiter, denn damit ist alles gesagt.«
»Auf die Wahl meines Bruders!« sagte Fräulein Thuillier.
»Jetzt werden Sie sich amüsieren«, sagte la Peyrade leise zu Flavia.
Und er erhob sich:
»Auf die Damen! Auf das schöne Geschlecht, dem wir soviel Glück verdanken, abgesehen von unsern Müttern, unsern Schwestern und unsern Frauen!«
Dieser Toast rief allgemeine Heiterkeit hervor, und Colleville, schon etwas angeheitert, rief:
»Ach du Schuft! Du hast mir meinen Gedanken gestohlen!«
Der Herr Bürgermeister erhob sich jetzt, wobei tiefes Schweigen eintrat.
»Meine Herren, auf unsre Verfassung! Sie ist die Quelle der Macht und Größe des dynastischen Frankreichs!«
Die Flaschen verschwanden unter einstimmiger Bewunderung der erstaunlichen Qualität und Feinheit der Getränke.
Celeste Colleville sagte schüchtern:
»Liebe Mama, würden Sie mir gestatten, auch ein Hoch auszubringen?«
Das arme Kind hatte das starre Gesicht ihrer Patin bemerkt, der Herrin des Hauses, die man vergessen hatte, und deren Blick mit dem Ausdruck eines Hundes, der nicht weiß, welchem Herrn er gehorchen soll, von dem Gesicht ihrer schrecklichen Schwägerin bis zu dem Thuilliers über alle hinwegirrte, ohne an sich selbst zu denken; aber die Freude auf diesem Sklavenantlitz, das daran gewöhnt war, nicht mitzuzählen und seine Gedanken und Empfindungen zu unterdrücken, leuchtete nur, wie die bleiche Wintersonne durch den Nebel scheint: sie konnte nur schwer dieses schlaffe, verkümmerte Gesicht aufhellen. Die Gazehaube mit dunklen Blumen, die nachlässige Frisur, das karmeliterbraune
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