Die kleine Schwester
auf.
Es war ein Schritt in der richtigen Richtung, aber er ging nicht weit genug. Ich hätte die Tür verriegeln und mich unter dem Schreibtisch verkriechen sollen.
2
Fünf Minuten später summte der Summer an der Außentür des anderen halben Büros, das ich als Warteraum benutze. Ich hörte, wie sich die Tür wieder schloß. Dann hörte ich weiter nichts. Die Tür zwischen mir und da drüben war halb offen. Ich lauschte und dachte: Da ist jemand einfach in das falsche Büro geraten und ist gleich wieder umgekehrt. Dann kam ein schwaches Klopfen auf Holz. Darauf dieses Räuspern, das man zu demselben Zweck benutzt. Ich nahm meine Füße vom Schreibtisch, stand auf und schaute. Da war sie. Sie brauchte ihren Mund gar nicht aufzumachen, ich wußte gleich, wer sie war. Und nie hat jemand weniger wie Lady Macbeth ausgesehen. Sie war eine kleine, säuberliche, irgendwie tantig aussehende junge Frau mit steifem, stumpfen braunen Haar und randloser Brille.
Sie trug ein braunes Schneiderkostüm, und über der Schulter an einem Riemen hing eine von diesen ungefügen viereckigen Taschen, bei denen man an eine barmherzige Schwester denken muß, die einem Verwundeten Erste Hilfe leistet. Auf dem stumpfen braunen Haar lag ein Hut, der seiner Mutter zu früh entrissen worden war. Sie hatte kein Make-up, kein Lippenrot, keinen Schmuck. Mit der randlosen Brille sah sie aus wie so eine Bibliothekarin.
»So redet man nicht mit Leuten am Telefon«, sagte sie scharf. »Sie sollten sich schämen.«
»Ich bin nur zu stolz, um es zu zeigen«, sagte ich. »Kommen Sie rein.« Ich hielt ihr die Tür auf. Dann schob ich ihr den Stuhl unter.
Sie setzte sich etwa drei Zentimeter vom Rand. »Wenn ich so mit einem von Dr.
Zugsmiths Patienten reden würde«, sagte sie, »würde ich meine Stellung verlieren. Er achtet sehr darauf, wie ich mit Patienten rede - auch mit schwierigen Patienten.«
»Wie geht's dem alten Burschen? Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit damals, als ich vom Garagendach fiel.«
Sie sah überrascht aus und ganz ernst. »Aber Sie können unmöglich Dr. Zugsmith kennen.« Die Spitze einer ziemlich blassen Zunge kam zwischen ihren Lippen heraus, listig, auf der Suche nach nichts.
»Einen Dr. Zugsmith kenne ich«, sagte ich, »in Santa Rosa. «
»Aber nein. Es ist Dr. Alfred Zugsmith in Manhattan. Also Manhattan in Kansas - nicht Manhattan, New York.«
»Muß wohl ein anderer Dr. Zugsmith sein«, sagte ich. »Und wie ist Ihr Name?«
»Ich weiß nicht, ob ich ihn nennen möchte.«
»Erst mal schnuppern, was?«
»So könnte man es sagen, ja. Wenn ich einem völlig fremden Menschen meine Familienangelegenheiten erzählen soll, dann habe ich wenigstens das Recht, mir zu überlegen, ob ich zu dem Betreffenden Vertrauen haben kann.«
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, daß Sie eine süße kleine Schlange sind?«
Die Augen hinter ihrer randlosen Brille blitzten. »Das will ich nicht hoffen.«
Ich griff nach einer Pfeife und fing an, sie zu füllen. »>Hoffen< ist nicht das richtige Wort«, sagte ich. »Werfen Sie mal diesen Hut weg, und kaufen Sie sich so eine raffinierte Brille mit farbigem Rand. Sie wissen schon, eine von diesen schrägen, die so orientalisch aussehen ... «
»Dr. Zugsmith würde so was niemals erlauben«, sagte sie schnell. Gleich darauf:
»Meinen Sie wirklich?« und errötete ein ganz klein wenig.
Ich hielt ein Streichholz an die Pfeife und blies den Rauch über den Schreibtisch.
Sie rückte etwas ab.
»Wenn Sie mir den Auftrag geben«, sagte ich, »dann bin ich der Mann, dem Sie den Auftrag geben. Ich. So wie ich bin. Wenn Sie glauben, Sie können in diesem Geschäft einen Laienprediger finden, dann spinnen Sie. Ich habe das Telefongespräch abgebrochen, trotzdem sind Sie gekommen. Also brauchen Sie Hilfe. Also, wie heißen Sie, und wo drückt der Schuh?«
Sie starrte mich nur an.
»Hören Sie«, sagte ich, »Sie kommen aus Manhattan in Kansas. Letztes Mal, als ich das Lexikon auswendig gelernt habe, war das eine Kleinstadt nicht weit von Topeka.
Zirka zwölftausend Einwohner. Sie arbeiten für Dr. Zugsmith, und Sie suchen jemand namens Orrin. Manhattan ist ein kleiner Ort. Muß es sein. Nur ein halbes Dutzend Orte in Kansas sind größer. Ich weiß schon genug über Sie, um Ihre ganze Familiengeschichte herauszufinden.«
»Aber warum wollen Sie denn das?« fragte sie beunruhigt.
»Ich?« sagte ich. »Ich will gar nichts. Ich habe die Leute satt, die mir Geschichten erzählen. Ich
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