Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Künstler, der etwas anderes behauptet, hat ihn nie genossen, nur davon gehört. Die Liebe zu Automobilen verbindet Vater und Sohn wie sonst nur recht wenig. Beide bewundern die technische Skizze des Phaeton im Werbeprospekt und weisen einander auf technische Details hin.
Wozu er dieses Ding brauche? Elvira ist mäßig begeistert. Das werde dann schon das dritte. Zwölf PS ! Wohin solle das noch führen? Welcher Mensch brauche gleich drei dieser gefährlichen Maschinen? Er werde sich damit umbringen.
So etwas, antwortet Giacomo, brauche man nicht. So etwas leiste man sich.
Du wirst dich damit umbringen, bekräftigt Elvira. Es macht mir angst!
Sie hat in den letzten Jahren an Taille verloren, ihre Gestalt kann einschüchternd wirken, matronenhaft, beinahe bäuerlich. Ihre Züge sind streng geworden oder, wenn sie lächelt, verwaschen und von wachsgelbem Teint. Ihr Gestenkatalog läßt einiges jener Anmut und Grazie vermissen, die Giacomo an Damen von Stand so betörend findet. Auch ihre Stimme klingt nicht mehr wie früher, zwar ist es wohl noch dieselbe Stimme, nur benutzt sie inzwischen andere Tonlagen, verirrt sich in Höhen und Härten, die dem Ohr eines Musikers unangenehm schrill vorkommen müssen.
Mit dem neuen Wagen werde er umgerechnet dreißig Meilen pro Stunde erreichen, fast fünfzig Kilometer, prophezeit Puccini, vorausgesetzt, die Straße verlaufe leicht abschüssig. Atemberaubend!
Elvira interessiert das nicht. Sie verbietet vorsorglich ihrem Sohn, jemals in diesem Höllengefährt Platz zu nehmen. Wenigstens hat sie sich inzwischen an den im letzten Jahr erworbenen Clément gewöhnt, unter der Auflage, daß Giacomo nicht selbst am Steuer sitzt. Dafür gebe es schließlich den Chauffeur, Guido, zu dem man Vertrauen haben könne. Der mache trotz seiner zwanzig Jahre einen nüchternen, sachlichen Eindruck. Ihr fällt noch der gewagte Vergleich von jenen Pferdebesitzern ein, die doch wohl auch nie auf die Idee kämen, im Rennen selbst zu reiten.
Giacomo gibt keine Antwort, obgleich er antwortet.
Ja.
Er gehe jetzt Karten spielen. Es wäre schön, wenn um Mitternacht der Kaffee heiß wäre.
Warum, fragt Elvira, die normalerweise pünktlich um zehn Uhr abends schlafen geht, sagst du das nicht dem Personal? Bin ich dein Dienstmädchen?
Er ist nicht mehr heiß , insistiert Giacomo und legt eine Extraportion Bedeutung in das Wort. Er brauche einen Liter heißen Kaffee für seine Kunst, ob das zuviel verlangt sei?
Seinetwegen, gibt Elvira zu bedenken, müsse jemand vom Personal bis Mitternacht aufbleiben. Ob er seine Kunst nicht vielleicht auch am Tag fabrizieren könne?
Und Giacomo platzt der Kragen. Seine Kunst finanziere das alles hier!
Ein gewichtiges Argument, dem Elvira ad hoc nichts entgegenzusetzen weiß. Sekunden später fällt ihr ein, daß sie damals aus Liebe zu Giacomo gezogen ist, sich aus Leidenschaft und Liebe für ihn entschieden hat, aus Leidenschaft und Liebe, eine katholische Mutter, mit der Aussicht, oder wenigstens dem nicht geringen Risiko, in bitterster Armut zu leben, aber das mag und kann Puccini nicht mehr hören, nicht mal, wenn sie es ihm hinterherbrüllen würde.
Der Maestro, der fast nur abends und nachts arbeitet, zieht sich zurück in den Club La Bohème. Eine schlichte Hütte, holzgeheizt, mit Strohdach. Über der Tür hängt ein schiefes Schild mit roten Buchstaben: Club La Bohème . Mehr Behauptung als Club. Im Grunde die einzige, zudem ehemalige Kneipe der Dorfexklave am See. Der Wirt hat sich vor Jahren schon fortgemacht. Auf den Tischen kleben Hunderte Stummel erloschener Kerzen, etliche Gläser, mit fettigem Schmierfilm, halbvoll mit Wein oder Likörchen, stehen herum. Es gibt ein Klavier, ziemlich verstimmt, für ausgelassene Stimmungen jedoch so gerade noch geeignet. Oft, so wird kolportiert, habe ein Freund Melodien aus den Opern Puccinis gespielt, um Elvira glauben zu machen, Giacomo arbeite.
Man spielt indes Karten und schwätzt.
Rund um die Villa hat sich am Massaciuccoli-See eine Art Künstlerkolonie abgelagert. Die meisten Künstler sind nur den Sommer über da, wenn sie bei den Bauern zur Untermiete wohnen, ein paar aber haben sich auch ganz hier niedergelassen. Kunstmaler vor allem. Freizeitjäger. Freunde. Kumpane. Männer von bodenständigem Witz , mit Sinn fürs Derb-Erdige. Ein Arzt, ein Anwalt. Keine Komponisten, selbstverständlich. Es hat junge Leute gegeben, die Puccinis Schüler werden wollten, um Unterricht baten, er hat sie alle
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