Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
gemußt.
Alle horchen auf. Und zu wem, wenns beliebt?
Caselli? schlägt Giacomo, mit schräggelegtem Kopf, vor. Ich fähre zu Caselli.
Caselli, wird prompt und eifrig eingewendet, wöre auf Reisen derzeit.
Dann Cleto. Ich kömme zu Cleto!
Cleto ist da! Die Runde feixt. Ergeben ihrem Idol und Muezzin. Wir sagen ihm, daß du kömmst!
›Fähre‹, ›Wöre‹ und ›Kömmst‹ sind hier im Club noch im letzten Jahrhundert erfundene Konjugationsformen, die kurz ausdrükken, was sonst mit ›daß du offiziell zu ihm fährst, aber natürlich nicht wirklich‹ wiedergegeben werden müßte. Die Verschwörer wissen rundum Bescheid. Giacomo liebt seine Freunde, behandelt jeden ungeachtet des jeweiligen gesellschaftlichen Standes wie einen Bruder, teilt seine Geheimnisse gern, das wissen sie alle zu schätzen.
Danke, Freunde, Bohèmiens!
Jack, so heißt er hier, hebt das Glas, für einen Toast. Wie wir armen Menschen uns bemühen, etwas zu schaffen, was uns als wichtige, bleibenswerte Künstler ausweist. Wie wir einander grausam bekämpfen beim Ringen um diesen scheinbaren Weg zu den Sternen …
Er wiederholt, was er in der letzten, sternstürmend vertrunkenen Nacht aufgeschrieben hat, plötzlich stockt er. Seine Worte, so überlegt zurechtgelegt, gestern, kommen ihm heute unpassend vor, aufgebläht, die Freunde ahnen, wohin er sich begibt und wozu, es mag angehen, hinterher darum ein Gedöns zu machen, jetzt lieber nicht.
Er weiß: Sie beneiden ihn alle. Nicht um Ruhm und Geld. Das würde die Atmosphäre schnell vergiften. Aber um die Frauen, die ihm allerorts vor die Füße fallen, um Benutzung geradezu betteln, darum beneiden sie ihn wie sabbernde Schuljungs, das geht selbstverständlich in Ordnung, das genießt er. Elvira gegenüber wird er im Notfall behaupten, Cleto sei tatsächlich ein Vorwand gewesen, er habe nur jagen und autofahren wollen. Das klingt glaubhaft, einigermaßen.
6
4. Februar 1903
Puccini, offiziell nun doch nicht bei seinem in Viareggio lebenden Freund Cleto Bevilaqua, sondern auf dem Weg zu einer Jagdgesellschaft nahe Pavia, zu der er in den nächsten Tagen tatsächlich stoßen wird, entsteigt der Droschke in einer Seitenstraße, flaniert einmal um den Block, betritt sein Genueser Lieblingshotel, das Grand Hotel Isotta.
Es ist bereits dunkel, er hat den Hut tief in die Stirn gezogen und den Mantelkragen hochgeklappt, würdigt den vorab bestochenen Portier keines Blickes, der seinerseits geflissentlich bemüht ist, ihn zu übersehen. Und ihm dennoch euphorisch hinterhernickt.
Ohne zu klopfen, öffnet Puccini die Tür zur einzigen Suite im ersten Stock. Spürt im Nacken Angst, sie könne ihn versetzt haben, das Telegramm sei nicht angekommen, sie habe den Zug verpaßt, habe sich nicht freimachen können, all die kleinen Ängste, die einer Liebesnacht vorausflackern.
Ohne Dich ist mein Leben nichts wert, ich bin so traurig, meine Süße! Ich denke in jedem Augenblick an Dich, sehe Dich, rufe Deinen Namen, möchte Deine Stimme hören, Deinen Duft genießen, Dein Lächeln, und Du bist nicht hier, glaub mir, Du fehlst mir so sehr – Du bist die Tröstung meines Lebens – ohne Dich ist es das eines Toten. Ohne die Erwartung, Dich wiederzusehen, glaube mir, könnte ich es nicht ertragen. Leb wohl, meine süße Blume, Parfüm und Poesie meines Lebens! Ich küsse Dich vom Kopf bis zu den Füßen! Dein Jack, der Dich sehr liebt. (ANM. 2)
Cori hat ihr eigenes, manchmal recht stures Köpfchen, ein schlaues, stolz aufbegehrendes, voller Eigensinn und Charme. Hier in Genua treffen sie sich öfter einmal, quasi auf halbem Weg, die relativ große Stadt bietet diskrete Möglichkeiten – und bald, sehr bald wird es Möglichkeiten in Hülle, Fülle und Mailand geben, Cori wird eine eigene Wohnung beziehen, ein Umzug, den sie sich natürlich nur dank Jacks finanzieller Unterstützung leisten kann. Puccini besitzt selbst eine Wohnung in Mailand, nahe seinem Verlagshaus, noch näher an der Scala, er benötigt keinerlei Vorwände, um jederzeit dorthin aufzubrechen, es sind strahlende Aussichten.
Cori, die sich unter falschem Namen, Paßkontrollen gibt es nicht, ins Gästebuch eingetragen hat, liegt auf dem Bett, liest, bei Gaslicht, mit einem seidenen Bademantel bekleidet, den sie nur bei solchen Gelegenheiten trägt, Gedichte des gerade populären Poeten Carducci. Ziemlich ödes Zeug, das bald mit dem Nobelpreis geadelt werden wird.
Es ist einer jener geheiligten Samstage. Sofort nach Erhalt des
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