Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
bestellt.
Weil er merkt, daß der Vater unwillig reagiert, den Kopf schüttelt und die Augenbrauen leicht, ganz leicht zusammenzieht, rudert Tito zurück. Zugegeben: Aus Puccini sei durchaus noch etwas herauszuholen, sofern er seinen Lebenswandel in den Griff bekäme, dann, und nur dann, könne vielleicht noch mit ihm zu rechnen sein. Schlimm genug, daß er mit der Mutter seines Sohnes nicht verheiratet sei, daran habe das Land sich in all den Jahren mühsam gewöhnt, aber nun stehe ein Skandal, vielmehr ein Erdbeben ins Haus, wenn erst bekannt werde, daß er mit einer Art Hure verkehre, einer Proletin, in die er sich ernsthaft verguckt habe. Diese Affäre müsse unterbunden werden, mit allen Mitteln. Dieses zwielichtige Nüttchen sei eine Zapfstelle, ein Talentvampyr, sie entziehe ihm jede Arbeitskraft.
Giulio nickt. Die Sache ist auch zu ihm längst vorgedrungen. Illica hat, allerdings aus zweiter Hand, erzählt, Giacomo habe brieflich mit einem siebenmaligen Geschlechtsverkehr geprahlt. Naja. Natürlich habe er Verständnis, wenn ein Mann in mittleren Jahren sexuelle Inspiration suche –
Tito erschrickt. Sein Vater hat in seinem Beisein dieses Wort – ›sexuell‹ – nie zuvor benutzt, in keinem denkbaren Kontext. Es ist ihm ein wenig peinlich, nein, äußerst peinlich, zugleich aber registriert er, noch zu überrumpelt, um sich angemessen darüber zu freuen, eine Art väterlicher Beförderung, nämlich der zum Gesprächspartner heikelster Themen. Betreten bis verblüfft hört er zu, welchen Schluß sein Vater zieht.
Giacomo habe es diesmal an jeglicher Diskretion fehlen lassen, die Verbindung mit Elvira sei kurz davor zu scheitern. Würde das passieren, fiele die Reaktion der Presse vernichtend aus, egal, welche Meriten sein Genie angehäuft habe. Siebenmal – das sei schon sehr beachtlich, das könne man feiern , gewiß, aber mit so etwas dürfe man eben nicht prahlen .
Ich bitte dich, Papa, – Genie –, das ist ein so überbenutztes Wort, flüstert Tito, hochrot, möchte vom Thema ablenken und erwähnt einige Nachwuchskräfte, denen er Großes zutraut, wären sie nur erst an den richtigen Verlag gebunden.
Giulio zuckt mit den Achseln.
5
1903
Wie wir armen Menschen uns bemühen, etwas zu schaffen, was uns als wichtige, bleibenswerte Künstler ausweist. Wie wir einander grausam bekämpfen beim Ringen um diesen scheinbaren Weg zu den Sternen, der, wenn alles gut läuft, uns flüchtigen Ruhm und Wohlstand beschert, einigen Mitmenschen Freude bereitet und, im günstigsten Fall, ein Jota höherer Einsicht in die Niedrigkeit unsres Daseins. Und doch sind wir eben, was wir sind, geboren mit Fehlern außerhalb unsrer Verantwortung, wir haben, im Unterschied zu den Tieren, die bösartigsten aller Tyrannen zu überwinden – Todesgewißheit und Langeweile.
Es gibt diverse Strategien, die uns eine solche Existenz erleichtern. Die einen sammeln Spielzeug, die anderen Geld, wieder andere Liebschaften, einige Fanatiker halten sich einzig in der Gegenwelt der Kunst auf, wo sie ihre Körper- und Kindlichkeit verleugnen, Mönche werden, für eine Art pseudoreligiösen Aufstand gegen Gott, den sie verbessern und ersetzen wollen, selbst wo sie ihm letztlich ihre Erzeugnisse scheinheilig widmen. Wie lächerlich das alles ist und doch so notwendig … Ich für meinen Teil nutze jede der zur Verfügung stehenden Strategien. Eine Haltung, die mir völlig natürlich und vernünftig erscheint. Und jede Frau, mit der ich schlief, endete als Melodie in mir. Jede. Wenn es etwas wie Apokryphen zu Ovids Metamorphosen gäbe, müßten sie den Zauber des Prozesses vermitteln, der es vollbringt, einen Fick in Musik zu verwandeln. (ANM. 1)
Anfang Februar 1903 bestellt Puccini sein drittes Automobil, den De Dion Bouton Phaeton , der laut Katalog problemlos eine Spitzengeschwindigkeit von ca. 50 km/h erreichen soll. Was wird das für ein Gerät sein, nach dem ersten De Dion Bouton, einem besseren Spielzeug mit 3,5 PS , und dem Clément, der mit mehr als zwei Insassen gerade mal 35 km/h schafft!
Die Bäume im Garten sind noch kahl, doch herrschen ungewöhnlich milde Temperaturen, der Frühling scheint zum Schnuppern nahe. Tonio ist sechzehn und rot vor Stolz auf den neuen Wagen seines – Vaters. Erzeugers. Die boshaften kleinen Rüpel aus dem Dorf nannten Tonio einmal Bastard , und Elvira, seine Mutter, eine Konkubine , inzwischen wagen sie das längst nicht mehr.
Ruhm, denkt Giacomo, kann so nützlich sein; jeder
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