Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Telegramms war sie aufgebrochen, am frühen Abend eingetroffen, mit dem Schnellzug aus Turin, der nach dreieinviertel Stunden schon in Genua ankommt, während Giacomos nicht so schneller Zug aus Viareggio ungefähr dieselbe Zeit benötigt. Er haßt Züge. Irgendwann, bald schon, bald, wird er mit einem Automobil die Strecke in weniger als zwei Stunden schaffen. Fortschritt!
Er denkt an ihren Vater, den Bäckermeister, der ihn bat, er solle seine Tochter, wenn es denn sein müsse, lieben, wie man eine Prinzessin liebt. Nur unter dieser Bedingung gebe er sein Einverständnis. Puccini hat meist vermieden, sie auf ihre Familie anzusprechen, hat Cori stets wie eine autarke Frau behandelt, was auch sonst, alles andere würde sie ihm übelnehmen. Zwar liebt sie es, Autorität zu spüren, doch nur, solange sich diese nicht etwa väterlich äußert.
Sie hat als Fünfzehnjährige bereits angefangen zu arbeiten, zwei Jahre lang, als Näherin, bevor sie Giacomo traf. Er hat ihr bald eine Wohnung neben dem Turiner Bahnhof besorgt, um mit ihrer Familie nicht mehr viel zu tun haben zu müssen. Ihre Mutter nahm die Beziehung zuerst wenig begeistert, mit sehr gemischten Gefühlen hin, hatte ihm das Versprechen abverlangt, Cori zu heiraten, sobald diese erst ein wenig älter geworden sei.
Er muß an die schönste Woche seines Lebens denken, als er, vor gut zwei Jahren, ganze sieben Tage am Stück mit der Geliebten verbracht hat, verbringen durfte, in seiner frisch erworbenen Villa in Chiatri, eine wunderbare Woche, freie Tage, sonnige Tage, an deren Ende er ein Preislied, eine gereimte Hymne auf die körperliche Liebe verfaßt und an den Freund Pagni gesandt hat, in angeberischster Absicht. Wozu hat man Freunde, wenn man vor ihnen nicht angeben darf?
Die grazile Cori, inzwischen zwanzig Jahre jung, eine bleiche Schönheit mit schulterlangen, kastanienbraunen Haaren, ist nicht sehr gebildet, sie weiß das und liest verzweifelt Carducci. Ihre fast schwarzen Augen flackern vor Ungeduld. Ihre spitze Nase und der schmale Mund lassen sie älter wirken, melancholisch, sehnsüchtig, in manchen Momenten hochmütig.
Diese spätpubertäre Noch-Unausgesöhntheit mit den Fakten. Der jugendliche Zorn und Leicht-Sinn. Das schlichte Nicht-Hinnehmen all dessen, worin sich die Mehrzahl der Menschen achselzuckend als in etwas Unvermeidliches fügt. Herrlich. Manchmal wird Giacomo bewußt, daß er an Cori eben das schätzt, was ihm selbst so sehr abhanden gekommen ist. Hält er sich doch für einen Sklaven der Umstände, für einen Hamster im Rad, gefangen in einem Netz von Erfordernissen und Konventionen, aus denen er nur heimlich ausbrechen kann, vielmehr will.
Das Lächeln, das Cori ihm nun entgegenstrahlt, lasziv, erwartend, läßt sein Herz hüpfen, was in diesem Fall mehr ist als eine abgeschmackte Metapher. Manchmal fürchtet Jack um seine Gesundheit. Nur in ihrer Gegenwart bekommt er Herzrasen und Schwindelanfälle, ihr zuliebe nimmt er sich beim Essen zurück, achtet auf seine Figur und trinkt maßvoll, wenngleich er sich nie in seinem Leben für einen Alkoholiker halten, noch diesen Vorwurf je von irgendwem hören wird. Er trinkt über den Tag verteilt selten mehr als einen bis anderthalb Liter Wein, selbst bei Gelagen verliert er nie die Kontrolle. Und seit ein Arzt vor wenigen Monaten den Verdacht auf Diabetes geäußert hat, hält er sich noch mehr zurück.
Da bist du endlich! Sie springt aus dem Bett, umarmt ihn, preßt eine Wange an seine Brust, reibt ihr Becken an seinem.
Ich werde, flüstert er zur Begrüßung, heute nacht wieder nicht an der Butterfly arbeiten!
Er meint es liebevoll, doch schwingt, wenn auch ganz unbeabsichtigt, ein Vorwurf darin mit. Cori grinst und bedankt sich sarkastisch, vollführt einen reizenden Knicks.
Vermutlich sei das nun mal das Netteste, was er einer Frau zur Begrüßung sagen könne.
Puccini sieht sie schmunzelnd an. Frau ? Seufzt, entschuldigt sich dafür, den unpassenden Ton gewählt zu haben. Wie ein ertapptes Kind, das eine Fehltat eingesteht.
Als du zum ersten Mal zu mir kamst, erinnert sich Cori, war ich drei Meter groß vor Stolz. Konnte vor meinen Freundinnnen prahlen damit. Und hab es nicht getan, aus Rücksicht auf dich. Ich bin eine Epikureerin. Kann man das so sagen? Ich lebe im Verborgenen.
Ja … Giacomo brummt, leicht resignativ, aber auch ausweichend, als begriffe er ihr Problem zum ersten Mal und müsse erst darüber nachdenken.
Soll ich eine Oper über dich schreiben? Ich
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