Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
kopfschüttelnd abblitzen lassen. Selbst wenn es ihm nicht an der nötigen Zeit gemangelt hätte, selbst wenn es ihm leichter gefallen wäre, über Musik theoretisch zu referieren – wäre er doch immer der strikten Meinung gewesen, ein Komponist von Rang sei von seinem Karma her Einzelkämpfer , habe sich den Weg ans Licht, zur Inspiration, aus eigener Kraft zu bahnen. Das Wesentliche sei immer ein Geschenk der Götter, Hostie, die man nun mal nicht lehramtlich spenden könne.
Ohnehin, tagsüber soll hier von irgendeiner Arbeit oder Pflicht keine Rede sein. Müßiggang um jeden Preis , so lautet die oberste Regel im Club La Bohème. In den Gründungsstatuten steht geschrieben, Faulheit sei in jeder Form erlaubt, Schweigen und Weisheit nur in Sonderfällen. Vom Präsidenten wird verlangt, daß er den Kassierer am Einzug der Mitgliedsbeiträge hindern müsse, dem Kassierer wiederum ist ausdrücklich gestattet, mit der Kasse durchzubrennen. Jedes erlaubte Spiel ist hier eigentlich verboten, aber das nimmt man längst nicht mehr so genau. Eine gepflegte Runde Scopa soll helfen, den Tag zu verkürzen.
Dr. Giacchi, Puccinis Hausarzt und Freund, spielt eine Karte aus. Schweigen am Tisch. Puccini zögert, sinnt in sich hinein. Etwas zu lange.
Ärger mit Elvira? fragt Giacchi.
Sei still! Quacksalber! Pillendreher!
Giacomo erhält lautstark Unterstützung. In dieser heiligen Hütte darf es keinen Ärger mit Elvira geben. Probleme haben hier keinen Zutritt.
Hier sind ernste Themen unerwünscht! kreischt Kunstmaler Pagni mit dem glanzvoll gefetteten Schnauzbart, während der vierte Mitspieler, Plinio Nomellini, der Puccinis Villa mit Fresken ausgemalt und sich alsbald hier angesiedelt hat, das Kreischen Pagnis ignoriert und die Gelegenheit für günstig hält, einen freundschaftlichen Ratschlag loszuwerden.
Nimm sie doch einfach mal wieder irgendwohin mit, wo sie Grande Dame spielen darf, dann muß sie es hier nicht!
Das genügt, flüstert Giacomo. Arschpopler! Sein Gesicht wirkt fahl und verschattet, bedrückt und bissig. Nomellini senkt den Kopf. Überlegt. Ist das Spaß? Wenn es nicht Spaß ist, was dann?
Du mußt die Farbe bedienen, Giacomo!
Ich muß, wenn ichs recht bedenke, gar nichts! Müssen ist scheiße. Überhaupt, Quacksalber, wie du aussiehst!
Ja, wie seh ich denn aus? Giacchi gibt sich erstaunt und neugierig. Sag mir doch mal, wie ich aussehe!
Wie der Proktologe vom Papst, Rodolfo, so steif und würdevoll und irgendwie pikiert! Als hättest du eine brennende Kerze im Arsch!
Er zieht ihn an seiner Krawatte. Hält das Ende der Krawatte in die Kerzenflamme. Das nun findet Giacchi bedenklich bis inakzeptabel.
He! Bist du verrückt geworden? Gibts hier seit neuestem eine Kleiderordnung, ach? Sind meine Krawatten nicht so schön wie deine? Nicht so teuer? Nicht teuer genug? Das nennt ihr Spießer die Bohème ? Was ist draus geworden? Schäm dich!
Giacomo ist es leid, schämt sich wirklich. Ein bißchen. Schon länger. Die Zoten und Späße von einst zünden nicht mehr. Er läßt los. Giacchi flucht und löscht seine Krawatte mit lauwarmer Limonade. Puccini schmeißt die Karten hin. Mit über vierzig Jahren macht stundenlanges Kartenspiel nicht soviel Freude wie früher. Seltsamerweise. Warum? Warum? Er gesteht es sich nur ungern ein.
Wie oft war hier gesungen worden, gelacht und getrunken; Tausende Witze, Bonmots wurden gebrüllt, im Wettstreit, Manifeste ersonnen gegen Gicht und Tod und Impotenz, Blasphemien und Schweinereien bis zur Besinnungslosigkeit. Es hatte Anzeigen und Verfahren gegeben, wegen Ruhestörung, Landfriedensbruchs, groben Unfugs und Wilderei.
Wo ist all die Fröhlichkeit hin? Wo muß man nach ihr suchen? Wieso, fragt Giacomo sich, soll er das Ende der Jugend so unwidersprochen dulden, wenn es feindlich, als eine barbarische Invasion, hereinbricht in die letzten Reservate und Oasen jenseits der bürgerlichen Zwänge? Wo man sich doch längst eine gewisse Freiheit erarbeitet hat, geistig wie materiell, eine Trutzburg , quasi. Wie dem Sturmwind des Alters entschlossen und bewußt entgegentreten?
Die Möse ist der einzige Trost der schmachtenden Menschheit. Hoch lebe die Möse, in die man wie in einen Hausschuh schlüpfen kann!
So hat er an Pagni geschrieben und seine damalige Hochstimmung kundgetan.
Jetzt steht er auf, bittet Rodolfo um Verzeihung, umarmt ihn, nennt ihn seinen lieben Giacchetto , schimpft sich selbst einen debilen Saftsack.
Sagt Elvira bitte, ich hätte noch wohin
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