Die Klinge der Träume
doch selbst das Weiß der Gaiʹschain trug? »Bringen wir es hinter uns. Die Zeit vergeht.« Wie viele Knoten würde er noch in die Lederschnur knüpfen müssen? Gebe das Licht, dass es nicht mehr viele sein würden.
Er stieg ab und gab Carlon Belcelona Stehers Zügel, einem glatt rasierten Tairener mit langer Nase und einem unglücklich schmalen Kinn. Carlon hatte die Angewohnheit, an diesem Kinn herumzufingern, so als würde er sich fragen, wo sein Bart geblieben war, oder er fuhr sich über das Haar, als würde er sich fragen, warum es im Nacken zusammengebunden war und der Pferdeschwanz bis zu seinen Schultern reichte. Aber davon abgesehen gab es keine weiteren Anzeichen, dass er das alberne Getue aufgeben würde, die Aielbräuche zu imitieren, genauso wenig wie die anderen. Balwer hatte ihnen ihre Instruktionen gegeben, und immerhin gehorchten sie ihnen. Die meisten von ihnen überließen ihre Pferde bereits anderen und befanden sich auf dem Weg zu den Tischen; einige holten Münzen hervor, andere boten mit Wein gefüllte Feldflaschen an. Die die Soldaten seltsamerweise ablehnten, auch wenn es den Anschein hatte, dass jeder, der Silber hatte, bei ihren Spielen willkommen war.
Perrin warf nur einen flüchtigen Blick in ihre Richtung, steckte seine Panzerhandschuhe in den Gürtel und folgte den beiden Seanchanern ins Haus, schlug den Umhang zurück, damit der Seidenmantel zu sehen war. Wenn er wieder herauskam, würden Failes Anhänger - die vermutlich auch seine Anhänger waren - in der Zwischenzeit viel von dem in Erfahrung gebracht haben, was diese Männer und Frauen wussten. Eines hatte er von Balwer gelernt. Wissen konnte sehr nützlich sein, und man wusste nie, welches aufgeschnappte Bruchstück sich wertvoller als Gold erweisen mochte. Aber im Augenblick würden die einzigen Informationen, an denen er interessiert war, nicht von diesem Ort kommen.
Der Vorderraum des Bauernhauses war mit der Tür zugewandten Tischen gefüllt, an denen Schreiber emsig über Papiere gebeugt saßen. Der einzige Laut war das Kratzen von Federn auf Papier und das hartnäckige Husten eines Mannes. Die Männer trugen dunkelbraune Mäntel und Hosen, die Frauen Kleider in genau demselben Farbton. Ein paar hatten Anstecknadeln aus Silber oder Messing in Form einer Schreibfeder. Anscheinend hatten die Seanchaner Uniformen für alles. Ein pausbäckiger Bursche im hinteren Teil des Raumes mit zwei Silberfedern auf der Brust stand auf und verneigte sich bei Tylees Eintreten tief, und sein Bauch drängte gegen den Stoff. Ihre Stiefel polterten laut auf den Holzdielen, als sie zwischen den Tischen auf ihn zugingen. Er richtete sich erst wieder auf, nachdem sie seinen Tisch erreicht hatten.
»Tylee Khirgan«, sagte sie knapp. »Ich will mit demjenigen reden, der hier das Kommando hat.«
»Wie die Bannergeneralin befiehlt«, erwiderte der Bursche demütig, machte noch eine tiefe Verbeugung und eilte durch eine Tür hinter ihm.
Der Schreiber, der hustete, ein Bursche mit glattem Gesicht, der jünger als Perrin war und seinem Aussehen nach von den Zwei Flüssen hätte stammen können, hustete noch stärker und hielt die Hand vor den Mund. Er räusperte sich laut, aber das raue Husten kehrte zurück.
Mishima sah ihn stirnrunzelnd an. »Der Kerl sollte nicht hier sein, wenn er krank ist«, murmelte er. »Was, wenn es ansteckend ist? Im Moment hört man ständig von allen möglichen seltsamen Krankheiten. Ein Mann ist bei Sonnenaufgang noch gesund und bei Sonnenuntergang eine aufgequollene Leiche, und keiner weiß, woran er gestorben ist. Ich habe von einer Frau gehört, die innerhalb einer Stunde verrückt wurde, und jeder, der sie berührte, wurde ebenfalls verrückt. Nach drei Tagen waren sie und ihr ganzes Dorf tot, jedenfalls jene, die nicht geflohen waren.« Er vollführte eine seltsame Geste, formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, während er die restlichen Finger eng krümmte.
»Ihr wisst es besser, als Gerüchten zu glauben oder sie zu wiederholen«, sagte die Bannergeneralin scharf und machte dieselbe Geste. Sie schien sich dessen gar nicht bewusst zu sein.
Der dicke Schreiber erschien wieder und hielt einem Mann mit hagerem Gesicht und grauen Haaren die Tür auf; dort, wo sein rechtes Auge gewesen war, hing nun eine schwarze Lederklappe. Eine wulstige weiße Narbe lief seine Stirn herunter, verschwand hinter der Klappe und führte dann über die Wange. Er war so klein wie die Männer draußen und trug einen Mantel von
Weitere Kostenlose Bücher