Die Knoblauchrevolte
Politik der Kreisverwaltung.«
Der Vorsitzende stand auf: »Verteidiger, deine Rede hat nichts mit der hier verhandelten Sache zu tun.«
»Wechseln wir den Blickwinkel. Kurz nach der Befreiung beschäftigte unsere Kreisverwaltung nur zehn Mitarbeiter. Trotzdem hat sie ausgezeichnete Arbeit geleistet. Aber heute gehören schon zu einer Gemeindeverwaltung, die dreißigtausend Einwohner betreut, mehr als sechzig Beamte, Angestellte und Arbeiter. Zählt man die Kader der aufgelösten Volkskommunen dazu, kommen wir auf annähernd hundert Personen. Die Quelle ihres Einkommens ist zu siebzig Prozent die Gemeindeabgabe, die die Bauern entrichten.
Nach dem Dritten Plenum ist man dazu übergegangen, das Ackerland an die bäuerlichen Haushalte zu verpachten. Seitdem müssen sich die Kader nicht mehr um die Produktion kümmern. Sie haben Zeit, jeden Tag ausgiebig zu essen und zu trinken, aber die Kosten für diese Gelage brauchen sie nicht aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Um es überspitzt zu sagen: Diese Beamten sind feudalistische Parasiten am Leibe des Sozialismus. Deshalb finde ich, daß der Ruf des Angeklagten Gao Ma: ›Nieder mit den korrupten Beamten! Nieder mit der Bürokratie!‹ einen Fortschritt in der Bewußtseinsbildung der Bauern darstellt und nicht das Verbrechen der konterrevolutionären Hetze. Natürlich vertrete ich Gao Ma nicht vor Gericht. Deshalb ist das, was ich sage, auch nicht als Beitrag zu seiner Verteidigung aufzufassen.«
»Wenn du weiterhin solche Propagandareden hältst, werde ich dir im Namen des Gerichts die Verteidigung entziehen«, sagte der Vorsitzende streng.
»Wir bitten das Gericht, ihn reden zu lassen!« rief jemand von hinten. Gao Yang drehte sich nach ihm um und stellte fest, daß sogar die Gänge im Gerichtssaal voll von Menschen waren.
»Ruhe!« brüllte der Vorsitzende.
»Mein Vater hat sich am Einbruch in die Kreisverwaltung beteiligt. Er hat einen Farbfernseher zerschlagen, Verwaltungsakten verbrannt und einen Verwaltungsangestellten verletzt. Das war ein Verbrechen. Ich als sein Sohn bin sehr bestürzt. Ich kann meinen Vater nicht für unschuldig erklären. Aber eines ist mir unbegreiflich: Der Angeklagte Zheng Changnian hat sich während des Befreiungskrieges freiwillig zu den Sanitätern gemeldet und ist mit der Volksbefreiungsarmee bis nach Jiangxi marschiert. Er wurde mit einem hohen und zwei einfacheren Orden ausgezeichnet. Wie konnte es passieren, daß sich ein solcher Mensch in einen Verbrecher verwandelt? Seine Liebe zur Kommunistischen Partei ist tief. Was konnte ihn dazu bringen, wegen einiger Knoblauchstengel die kommunistische Kreisverwaltung zu verwüsten?«
»Die Kommunistische Partei hat sich verändert!« kam ein Ruf aus der Reihe der Angeklagten. »Die Partei ist nicht mehr, was sie früher war.«
Auf den Zuhörerplätzen brach Lärm aus. Die Richter machten erschrockene Gesichter.
Der Vorsitzende stand auf, schlug mit aller Kraft auf den Tisch und rief: »Ruhe, Ruhe!«
Es dauerte lange, bis wieder Stille einkehrte.
»Angeklagter Zheng Changnian«, sagte der Vorsitzende, »du hast nicht das Recht, dich ohne Genehmigung des Gerichts zu äußern.«
»Ich fahre in meinem Vortrag fort«, erklärte der junge Offizier.
»Das Gericht gibt dir noch fünf Minuten Redezeit«, sagte der Vorsitzende.
»Ich akzeptiere diese Einschränkung nicht«, erwiderte der Offizier. »Die Strafprozeßordnung kennt keine Begrenzung der Redezeit des Verteidigers. Sie räumt auch dem Richterkollegium nicht das Recht ein, die Redezeit des Verteidigers zu begrenzen.«
»Das Gericht ist der Auffassung, daß dein Vortrag in keinem Zusammenhang mit der Verteidigung dieses Falles steht.«
»Meine Rede nähert sich immer mehr dem eigentlichen Punkt der Verteidigung des Angeklagten Zheng Changnian.«
»Laßt ihn sprechen, laßt ihn sprechen!« riefen die Zuhörer erneut.
Der Offizier zog ein weißes Tuch heraus und wischte sich die Augen.
»Gut, du kannst weitersprechen«, sagte der Vorsitzende, »aber jedes Wort von dir wird protokolliert und zu den Akten genommen, und du trägst die volle Verantwortung für alles, was du sagst.«
»Natürlich übernehme ich die Verantwortung für das, was ich hier sage.« Der junge Offizier stotterte auf einmal. »Ich bin der Ansicht, der Knoblauchzwischenfall ist ein Alarmsignal für unsere Partei. Denn wenn eine Partei und eine Regierung nicht für die Interessen des Volkes eintreten, dann ist das Volk berechtigt, sie zu stürzen.«
Im
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