Die Knoblauchrevolte
Flaschenhals ragte ein Plastikstrohhalm.
»Wir haben zwei Arten von Getränken, die in Farbe und Geschmack unterschiedlich sind«, kündigte eine Polizistin an. »Für jeden gibt es eine Flasche.«
»Welche Farbe möchtest du haben?« fragte die Polizistin, die sich zu Gao Yang hinunterbeugte. Zögernd musterte er die Getränke auf dem Tablett. Das eine war so rot wie Blut, das andere schwarz wie Tusche.
»Schnell, entscheide dich. Du mußt es auf einen Zug trinken, ein Umtausch ist nicht möglich.«
»Ich möchte das rote«, sagte Gao Yang entschlossen.
Die Polizistin gab ihm eine Flasche mit dem roten Getränk. Er nahm sie in beide Hände, wagte aber nicht, daraus zu trinken. Auch die anderen durften wählen. Gao Yang sah, daß mit Ausnahme von Gao Ma alle Gefangenen sich für das rote Getränk entschieden hatten.
»Trinkt!« sagte die Polizistin.
Die Gefangenen wechselten Blicke, trauten sich aber nicht, das Zeug zu trinken.
Die Polizistin sagte ärgerlich: »Hundescheiße bleibt nicht an der Wand kleben. Trinkt. Ich zähle bis drei. Eins, zwei, drei: Trinkt!«
Als Gao Yang am Strohhalm sog, kroch eine nach Knoblauch schmeckende, Juckreiz erregende Flüssigkeit durch seine Kehle.
Sobald sie ausgetrunken hatten, kamen die Polizisten zurück, und jeder nahm seinen früheren Platz wieder ein. Sie packten die Gefangenen an den Armen, stellten sich wieder in Dreierreihen auf und marschierten durch das Tor hinaus.
Draußen bog die Kolonne nach Norden ab. Sie überquerten eine Straße und mußten dann eine Treppe hinaufsteigen, an deren Ende sich der Eingang zu einem großen Saal befand. Der Saal war voller Menschen, von denen keiner einen Laut von sich gab. Die Stimmung war sehr ernst. Ein lauter Aufruf war zu hören: »Die Verbrecher, die im Zusammenhang mit dem Knoblauchzwischenfall im Kreis Paradies verhaftet wurden, sollen vortreten.«
Seine beiden Polizisten nahmen Gao Yang die Handschellen ab, zogen ihm die Arme nach hinten und drückten ihm den Kopf auf die Brust. Halb getragen und halb gestoßen, erreichte er seinen Platz in der Anklagebox.
2
Gao Yang stützte sich auf die Brüstung der eigens für dieses Verfahren aufgebauten Anklagebox und hob den Kopf. Das erste, was er sah, war ein riesengroßes, funkelndes Staatswappen. Die beiden Polizisten klemmten ihn so ein, daß ihm sehr unbehaglich zumute war. Unter dem Staatswappen saß ein Mann mit gutmütigem Gesichtsausdruck und weicher Haut, flankiert von zwei Reihen mit jeweils sieben oder acht Beamten, die wie Schauspieler in einem Film wirkten.
Der etwas Ältere Beamte in der Mitte räusperte sich und hielt den Mund an ein rot drapiertes Mikrophon. »Die erste Verhandlung im Fall des Knoblauchzwischenfalls im Kreis Paradies ist eröffnet.« Dann erhob er sich, aber die Leute an seiner Seite blieben sitzen.
Der stehende Beamte hielt eine Liste in der Hand, aus der er Namen aufrief. Gao Yang wußte nicht, wie er sich verhalten sollte, als er seinen eigenen Namen hörte. Der magere Polizist raunte ihm zu: »Sag ›hier‹.«
Der Beamte erklärte: »Die Angeklagten sind alle anwesend. Nun zum Gegenstand des Verfahrens: Am 28. Mai sind die Verbrecher Gao Ma, Gao Yang, Fang, geborene Wu, Zheng Changnian …« – er leierte mehrere Namen herunter – »in die Kreisverwaltung eingebrochen und haben sie in Brand gesteckt. Sie haben mehrere Mitarbeiter der Kreisverwaltung verletzt. Der Volksgerichtshof des Kreises Paradies, dem dieser Fall zur Verhandlung übertragen wurde, hat gemäß Artikel drei, Absatz eins, Paragraph einhundertfünf der Strafprozeßordnung der Volksrepublik China eine Sonderstrafkammer eingesetzt und mit der öffentlichen Verhandlung beauftragt.«
Durch die Menge im Saal ging ein Raunen. Der Richter schlug mit einem Holzhammer auf den Tisch: »Bitte Ruhe.« Er griff nach einer Teetasse und genehmigte sich einen Schluck. »Die Sonderstrafkammer besteht aus drei Personen. Vorsitzender Richter ist der Präsident des Volksgerichtshofes des Kreises Paradies, Kang Botao. Das bin ich. Beisitzer sind Yü Ya, Mitglied des Ständigen Ausschusses der Politischen Konsultativkonferenz des Kreises, und Jiang Xiwang, Leiter des Büros des Volkskongresses des Kreises. Protokollführerin ist Song Xiufen. Öffentlicher Ankläger ist der stellvertretende Präsident der Staatsanwaltschaft des Kreises, Liu Feng.«
Der Vorsitzende setzte sich, als hätte ihn sein Vortrag völlig erschöpft, und trank wieder einen Schluck Tee. Mit heiserer Stimme fuhr
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