Die Knochentänzerin
nicht, das ich Euch zum Schutz für das ungeborene Leben gegeben habe?«
Sinead sah ihr fest in die Augen. »Hör zu. Ich bin wahrlich gottesfürchtig. Aber ich glaube nicht an heidnisches Zeug und habe wirklich genug von deinem frommen Getue und deinem Aberglauben. Ich habe gelernt, dass es am besten ist, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Kein totes Stück Haut und keine Knochen helfen mir, wenn ich in Not bin. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.«
Die Lippen der Wehmutter wurden schmal. Sie setzte gerade zu einer Erwiderung an, als Sinead aufstöhnte und sich zusammenkrümmte.
»Es geht los«, keuchte sie, während der unfassbare Schmerz, der ihren Leib zusammenkrampfte, nur langsam wieder verebbte.
»Gibt es eine Magd, die mir zur Hand gehen kann?« Die Wehmutter blickte demonstrativ an Sinead vorbei zum Fenster.
»Nur einen Knecht«, stöhnte Sinead.
»Kein Mann darf bei einer Geburt anwesend sein«, schimpfte die Hebamme. »Aber er soll Folgendes herbeischaffen: einen Wasserbottich, einen Füllkrug, eine Tonflasche, ein Kupferbecken mit Kamm und Pinsel, ein scharfes Messer und Nähzeug. Und danach soll er eine kräftige Suppe kochen, Ihr werdet sie zur Stärkung brauchen.«
Sineads Leib krümmte sich, und eine neue Woge des Schmerzes erfasste sie. Sie presste den angehaltenen Atem aus und sah die weißen Knöchel ihrer Hände, die sich in das Laken gekrallt hatten. In zwei flachen Schüsseln brannte irgendetwas, vermutlich Kräuter mit zerhackten Innereien gemischt. Der widerlich süßliche Gestank vermischte sich mit dem dünnen Rauch aus dem Kohlebecken. Sinead war speiübel, und das fortwährende Gebrabbel der Wehmutter, die Beschwörungsformeln herunterbetete, machte die Sache nicht besser.
»Wirst du endlich den Mund halten!«, schrie Sinead plötzlich und erschrak sogleich über den eigenen, heftigen Ausbruch. Erschöpft lehnte sie im Sitzen den Rücken gegen die hölzerne Rückwand des Betts. Für einen Augenblick herrschte Stille im Raum, nur das Knistern der Glut im Kohlebecken und das Zischen der Flammen in den Schalen waren zu hören.
»Ihr müsst kräftig und gleichmäßig atmen«, unterbrach die Hebamme schließlich das Schweigen. Sie blickte hämisch auf Sinead herab, die im grauen Kittel kreidebleich mit schmerzverzerrtem, schweißnassem Gesicht auf der Bettstatt hockte.
»Ich bitte dich, hör auf mit dem heidnischen Zeug.« Nach ihrem Aufbrausen klang Sineads Stimme nun fast wie ein Flüstern.
»Es ist kein heidnisches Zeug«, gab die Hebamme schmallippig zurück. »Wie sonst soll sich das Balg noch drehen, wenn nicht mit Beistand von oben.« Störrisch nahm sie ihr Geschwätz wieder auf.
»Sie dreht sich nicht mehr«, stöhnte Sinead. »Ich kann schon die Füßchen spüren, wie sie nach draußen drängen.«
»Ihr hättet einen Bader oder Medicus aufsuchen sollen. So jemand hätte vielleicht das praktische Wissen, wie man ein Kind, das verkehrt herum liegt, von außen mit den Händen dreht. Doch jetzt ist es sowieso zu spät.«
»Es gibt keinen Bader im Umkreis von vierzig Meilen, und man hat mir gesagt,
du
bist die erfahrene Wehmutter hier!« Sinead kämpfte gleichzeitig gegen die Tränen und die wieder aufsteigende Wut. Fast konnte sie das Gefühl der Hilflosigkeit mit Händen greifen: Es ging um Leben und Tod! Und dieser Person fiel nichts anderes ein, als stinkendes Zeug zu verbrennen und völlig sinnlose Worte aufzusagen. Doch ihre größte Wut richtete sich zu gleichen Teilen gegen Colin und sich selbst. War sie wirklich so naiv gewesen zu glauben, alles würde gut werden, nur weil sie dahin zurückgekehrt war, wo
sie
geboren war? Wie war es möglich, dass sie die Umstände – all das Unglück – vergessen hatte: Die Mutter bei ihrer Geburt gestorben. Der Vater, ein Hurenbock und Säufer. Auch er tot, ertrunken auf seiner verzweifelten Flucht in seine Heimat Irland. Und Colin? Gab es ein größeres Rätsel als ihre Liebe? Er Engländer, sie Irin. Kein einziges seiner Versprechen hatte er gehalten. Auch er schien ertrunken, doch er hatte den verhängnisvollen Schiffbruch überlebt, ohne dass sie es wusste. Zur Geburt unseres Kindes werde ich bei dir sein – eines seiner vielen Versprechen. Wo bist du?, wollte sie hinausschreien. Aber sie wusste es ja – er war irgendwo unterwegs als Agent des Königs, in welchem Land auch immer, mit einem Auftrag, über den er nie sprechen würde. Nur ein einziges Mal ahnte sie, womit er sich seine Erhebung in den Ritterstand
Weitere Kostenlose Bücher