Die Knochentänzerin
festgebunden war. Mit der anderen wedelte er hektisch zum Dogenpalast. Eine halbe Armee von Stadtwachen rannte auf uns zu.
»Los, in den Kahn!«, schrie er, während er das Tau hineinwarf und hinterhersprang.
Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Ein gewaltiger Blitz spaltete den tiefschwarzen Himmel über der Lagune, unmittelbar danach krachte der Donner, als wollte er uns erschlagen. Ich sah, wie die Wachen den Steg erreichten, doch William hatte die Ruder eingesetzt, und das Boot hüpfte auf den Wellen davon. Ich klammerte mich an der Bank fest, und während der Regen peitschte, der Sturm über dem Meer heulte, die Wächter die Mole entlangrannten – in all diesem Chaos –, schritten meine Gedanken in einer eigenartigen Ruhe den Weg meiner Geschichte ab, die aus Stürmen wie diesem bestand, zusammengesetzt schien aus Knochen von falschen Heiligen, Gehenkten und Geköpften – untrennbar verbunden mit diesem spindeldürren Grabräuber, der sich und mich – die Vater- und Muttermörderin – mit spielerischer Gewandtheit von einem Unheil zum nächsten hangelte.
»William!«, schrie ich, während das Boot von einem Wellenkamm beinahe senkrecht hinab ins Tal stürzte. »Diesmal sterben wir wirklich! Wo in drei Teufels Namen willst du denn hin?«
William hielt einen Moment mit dem Rudern inne. In all dem Tosen machte er ein vornehmes Gesicht, und während wir fast aus dem Boot geschleudert wurden, brachte er trotzdem eine großartige Geste zustande und trotzte mit seiner Stimme dem wütenden Sturm. »Ich bin Reliquienhändler! Es gibt nur einen Ort! Wir fahren ins Gelobte Land! Wohin denn sonst?«
»Wo ist das denn? Das Gelobte Land?«, schrie ich. Doch der Sturm schnappte sich meine Worte und verschlang sie mühelos.
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Epilog
K arl der Vierte, Kaiser des deutschen und römischen Reichs, schüttelte ratlos den Kopf und fragte: »Wie ist so etwas möglich?«
Ferros schlanke Hand glitt über die Goldlehne. »Man kann nur vermuten, was genau geschah. Es war keine Kugel in der Kanone, nur das Pulver. Die Druckwelle hat Euren Mann wohl in den Käfig geschleudert, dessen Gitterstäbe auf der Vorderseite dabei zerbrachen. Dass er überlebt hat, grenzt an ein Wunder.«
Karl dachte an Sinead, die er einst geliebt hatte und die in einem Sturm geflohen war wie nun Cailun, ihre Tochter. Erneut schüttelte er den Kopf, bevor er erklärte: »Parler trug unter dem Festgewand, weiß der Himmel warum, seinen Brustpanzer. Vielleicht wollte er damit die Symbolik des Glockenläutens unterstreichen. Jedenfalls scheint es, als wäre Gottes schützende Hand über ihm besonders groß und mächtig gewesen.«
Der schöne Senator blickte zum Fenster, wo letzte Windböen den Vorhang bauschten. Der Himmel über der Lagune trug noch die Zeichen des gewaltigen Sturms, der an der Stadt gerüttelt hatte, als wollte er sie niederreißen. Der Kaiser glaubte so etwas wie Sehnsucht im Blick Ferros zu erkennen, als dieser murmelte: »Was für ein Weib. Schießt mit Kanonen, um ihren Mann zu befreien.«
»Was wohl aus den beiden geworden ist?«, sinnierte der Kaiser.
»Einen jeden ereilt das ihm von Gott zugedachte Schicksal. So wie Faliero, den Mörder und Verräter, und sein Verschwörerpack.« Der Blick des Senators kehrte aus der Ferne zurück. »Sie sind ertrunken. Natürlich. Kein Mensch kann da draußen einen solchen Sturm überleben.«
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Anmerkung des Autors
H istorisch kundige Leser mögen mir die Zeitverschiebung um ca. sieben Jahre nachsehen, die ich aus dramaturgischen Gründen vornehmen musste. Dies war notwendig, um unter anderen Marino Faliero (tatsächlich 1355 wegen Verrats hingerichtet) in der Geschichte Cailuns zu behalten, die mit Sinead in meinem Roman »Die Irin« beginnt. Während Marino Faliero tatsächlich gelebt hat, ist Pietro Dandolo eine fiktive Person.
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Über Franz-Josef Körner
Franz-Josef Körner, geboren 1958 in Bamberg, studierte Englisch und Sport in Würzburg und Austin/Texas und unterrichtet heute als Gymnasiallehrer an der Fachoberschule Kaufbeuren. Seit 1996 wohnt er mit seiner Familie in Marktoberdorf im Allgäu. Von ihm erschienen bisher die Romane »Der Domreiter« (LangenMüller und Rowohlt 2004/2006), »Feuerspur« (LangenMüller 2006), »Das Gänsespiel« (Bauer Verlag 2007), »Sophies Labyrinth« (Bauer Verlag 2008), »Bamberger Bluthochzeit« (Piper 2009), »Das Vermächtnis des Königs« (Piper 2010) und »Gold für den
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