Die Königliche (German Edition)
Erfahrung für diejenigen hielt, die am besten wussten, was das Königreich zu seiner Genesung brauchte. Wäre er überrascht von ihrem heutigen Verhalten? Oder waren Rors eigene Ratgeber genauso schillernde Persönlichkeiten? Vielleicht war das in allen sieben Königreichen so.
Und vielleicht spielte es auch keine Rolle. Bitterblue hatte keinen Grund zur Klage, was die Produktivität ihrer Ratgeber anging, außer vielleicht, dass sie zu produktiv waren. Die Papierberge, die sich täglich, stündlich auf ihrem Schreibtisch stapelten, waren der Beweis: erhobene Steuern, verkündete Gerichtsurteile, vorgeschlagene Gefängnisstandorte, erlassene Gesetze, gegründete Städte; Papier, Papier, bis ihre Finger nach Papier rochen, ihre Augen beim Anblick von Papier tränten und ihr der Kopf dröhnte.
»Wassermelonen«, sagte Bitterblue zu ihrer Schreibtischplatte.
»Königin?«, erwiderte Thiel.
Bitterblue rieb an den schweren Zöpfen, die um ihren Kopf geschlungen waren, dann setzte sie sich auf. »Ich wusste gar nicht, dass es Wassermelonenbeete in der Stadt gibt, Thiel. Kann ich bei meiner nächsten Jahresinspektion eins sehen?«
»Wir planen die nächste Inspektion zeitgleich mit dem Besuch Ihres Onkels diesen Winter, Königin. Ich bin kein Experte für Wassermelonen, aber ich glaube nicht, dass sie im Januar besonders beeindruckend sind.«
»Könnte ich nicht jetzt eine Inspektion unternehmen?«
»Königin, es ist Mitte August. Wie, glauben Sie, sollen wir Mitte August für so etwas Zeit finden?«
Der Himmel überall um den Turm hatte die Farbe von Wassermelonenfleisch. Die Zeiger der großen Standuhr rückten immer weiter in den Abend vor, und über Bitterblue, jenseits der Glasdecke, änderte sich das Licht zu immer dunklerem Purpur. Ein Stern leuchtete. »Oh, Thiel.« Bitterblue seufzte. »Lassen Sie mich bitte allein.«
»Gleich, Königin«, entgegnete Thiel, »aber erst möchte ich mit Ihnen über Ihre Heirat sprechen.«
»Nein.«
»Sie sind achtzehn, Königin, und ohne Erben. Einige der sechs Könige haben noch ledige Söhne, zwei Ihrer Cousins eingeschlossen …«
»Thiel, wenn Sie jetzt schon wieder anfangen, Prinzen aufzuzählen, bespritze ich Sie mit Tinte. Wenn Sie die Namen meiner Cousins auch nur flüstern …«
»Königin«, unterbrach Thiel sie vollkommen unbeeindruckt, »ich möchte Sie wirklich nicht erzürnen, aber Sie müssen dieser Tatsache ins Auge blicken. Zu Ihrem Cousin Skye haben Sie während seiner Besuche in seiner Funktion als Botschafter ein gutes Verhältnis entwickelt. Wenn König Ror im Winter kommt, bringt er Prinz Skye wahrscheinlich mit. Bis dahin müssen wir darüber gesprochen haben.«
»Nein«, sagte Bitterblue und umklammerte ihre Feder. »Da gibt es nichts zu besprechen.«
»Doch«, erwiderte Thiel mit fester Stimme.
Wenn sie genau hinsah, konnte Bitterblue die Linien verheilter Narben auf Thiels Wangenknochen erkennen. »Ich würde gerne etwas anderes besprechen«, sagte sie. »Erinnern Sie sich noch an das Mal, als Sie ins Zimmer meiner Mutter kamen, um meinem Vater etwas zu sagen, das ihn wütend machte, und er Sie beide daraufhin durch die Geheimtür nach unten brachte? Was hat er Ihnen da unten angetan?«
Es war, als hätte sie eine Kerze ausgepustet. Thiel stand groß, dünn und verwirrt vor ihr. Dann verschwand selbst die Verwirrung und das Licht erlosch in seinem Blick. Er strich sein makelloses Hemd glatt, starrte es an und zupfte daran herum, als wäre es in diesem Moment überaus wichtig, ordentlich auszusehen. Dann verbeugte er sich einmal schweigend, wandte sich ab und verließ das Zimmer.
Bitterblue blieb allein zurück, blätterte Papiere durch, unterschrieb Dokumente, nieste wegen des Staubs – und versuchte sich vergeblich auszureden, dass sie sich schämen sollte. Sie hatte es absichtlich getan. Sie hatte genau gewusst, dass er ihre Frage nicht ertragen konnte. Alle Männer, die für sie arbeiteten – zumindest die, die auch unter Leck gedient hatten –, von ihren Ratgebern über die Minister und Schreiber bis hin zu ihrer persönlichen Wache, schreckten vor direkten Erinnerungen an Lecks Regentschaft zurück; schreckten zurück oder brachen zusammen. Es war die Waffe, die sie immer benutzte, wenn jemand sie zu sehr bedrängte, da es die einzige Waffe war, die funktionierte. Sie vermutete, dass nun eine Weile nicht mehr von Hochzeiten die Rede sein würde.
Ihre Ratgeber verfügten über eine Zielstrebigkeit, die Bitterblue manchmal
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