Die Königsmacherin
fürchtete sich im Wald, und ihre Haut wies keinerlei seltsame Behaarung oder Hexenzeichnung auf. Allerdings gab es tatsächlich eine wunderliche Besonderheit an seiner Tochter: Ihr linker Fuß war eine halbe Handbreit länger als der rechte. Der Graf legte größten Wert darauf, daß dies nicht allgemein bekannt wurde. Er ließ seiner Tochter von Anfang an stets ein gleiches Paar Schuhe anfertigen. Die Spitze des rechten Schuhs wurde mit Wolle ausgestopft.
Den ersten Teil der Prophezeiung hätte der Graf natürlich gern geglaubt, und so unwahrscheinlich war er auch gar nicht. In seiner Tochter floß schließlich sehr edles Blut, da er und seine Frau Geschlechtern von Königen entstammten, die ihre Linie bis auf das sagenhafte Haus Troja zurückführten. Doch unter den zahlreichen Bewerbern, die in den vergangenen Jahren um Bertradas Hand angehalten hatten, befand sich kein Anwärter auf einen Thron. Ewig durfte er seine Tochter nicht zu Hause behalten. Schließlich war sie schon fast zwanzig, auch wenn sie sich wie ein kleines Kind hinter die Truhe gehockt hatte, um ihre Eltern zu belauschen.
»Ich weiß, daß du uns zuhörst, Bertrada!« rief er schließlich. »Zeig dich und setz dich zu uns.«
»Warum findest du nur immer alles über mich heraus«, murmelte Bertrada seufzend, als sie sich erhob. Sie stolperte über ihr langes Kleid und versetzte Leutberga einen kleinen Tritt. Mit eingezogenem Kopf schlich diese verärgert aus dem Zimmer. Immer wenn es spannend wurde, verdarb Bertrada alles.
»Weil ich mich um dich sorge und für deinen Schutz verantwortlich bin«, erklärte Charibert von Laon fröhlich. »Jedenfalls bis jetzt. Du hast ja gehört, um was es geht. Wenn du zustimmst, übertrage ich diese Pflicht auf Pippin, den Sohn des Hausmeiers Karl.«
»Erzähl mir von ihm«, forderte Bertrada ihren Vater auf und ließ sich zu seinen Füßen auf dem Löwenfell nieder, das er vor Jahren von einer weiten Reise mitgebracht hatte und das als Prunkstück des Familiengemachs galt.
Viel hatte Charibert nicht zu berichten. Obwohl er sich als Beisitzer des Hausmeiergerichts gelegentlich in Saint Denis aufhielt, hatte er Pippin in den letzten Jahren dort nicht zu Gesicht bekommen. »Die vergangenen fünf Jahre hat er am Hof des Langobardenkönigs Liutprand verbracht. Dieser hat ihn auf Karl Martells Anerbieten gewissermaßen an Kindes Statt angenommen, da er selbst keine Erben hat.«
»Wie kann man nur sein Kind in die Fremde geben!« rief Gisela empört.
»Meine Liebe, erstens war er da schon kein kleines Kind mehr, und zweitens war auch dies eine der weitsichtigen Entscheidungen Karl Martells«, bemerkte Charibert. Taktvoll unterließ er es, Gisela daran zu erinnern, daß sie ihre Tochter am liebsten dem Sohn des noch viel weiter entfernt lebenden Kaisers von Byzanz geben würde. »So machte er sich nämlich einen aufstrebenden wichtigen Herrscher zum Verbündeten und konnte ihm gleichzeitig dafür danken, daß er ihn beim Kampf gegen die Sarazenen unterstützt hatte. Außerdem ist es kein Geheimnis, daß sich Pippin und sein älterer Bruder Karlmann schon als Kinder befehdet haben. Der Gedanke, einen räumlichen Abstand zwischen den Geschwistern herzustellen, mag dabei ebenfalls eine Rolle gespielt haben. So konnte sich die Feindschaft zwischen beiden nicht weiter verschärfen, und es gab ihnen Gelegenheit, nach den Trennungsjahren einen neuen Anfang zu finden.«
»Was sind das denn für Menschen, diese Langobarden?« erkundigte sich Bertrada. »Sind das nicht rechte Barbaren?«
»Vom Ursprung her sind es Germanen«, erläuterte der Graf. »Vor zweihundert Jahren lebten sie noch in einer Gegend, die manche Ungarn nennen, sind dann über die Alpen gezogen und haben ein Gebiet nach dem anderen erobert. Sie sind sehr fleißig und geschäftstüchtig, haben den Handel in einem verarmten Gebiet zum Erblühen gebracht, finden sogar noch Zeit für die Künste, und ihre Könige gelten als gerecht. Diese tragen übrigens kurze Haare – im Gegensatz zu unseren alten Herrschern«, sagte der Graf lachend. »Pippin hat man als allererstes nach Landessitte das Haupthaar geschoren.«
Bertrada verzog das Gesicht.
»Es ist inzwischen bestimmt nachgewachsen«, versicherte Charibert versöhnlich. »Schließlich ist er seit Monaten wieder in Saint Denis. Seinem Vater geht es schlecht, er fühlt sein Ende nahen, so heißt es, und auch deshalb müssen wir eine schnelle Entscheidung treffen. Karl Martell hat sein Reich geordnet,
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