Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
Rande der Stadt, wo seine Frau mit den zwei Maultiertreibern wartete. Einer der beiden fragte Belisario ganz unverschämt, ob er dieses ulkige Mädchen entfuhren und ins Bordell verkaufen wolle. Der Alte weinte so sehr, daß er einer Ohnmacht nahe schien. Die jungen Maultiertreiber wußten nicht, was sie tun sollten, doch Belisarios Frau, statt zu jammern, fing schallend an zu lachen. Und Don Juan verstand nicht, warum.
In der Dunkelheit brach die Gruppe auf. Sie zogen auf wenig begangenen Pfaden stetig nach Norden. Belisario sprach nicht viel. Offenbar fürchtete er sich und erwartete Schwierigkeiten. Seine Frau zankte die ganze Zeit mit ihm und klagte, sie hätten ihre Chance auf Freiheit verspielt, indem sie Don Juan mitnahmen. Belisario gab ihr den strikten Befehl, nicht mehr davon zu sprechen, weil er fürchtete, die Maultiertreiber könnten herausfinden, daß Don Juan verkleidet war. Er ermahnte Don Juan, er solle, weil er sich nicht überzeugend wie eine Frau zu verhalten wußte, wenigstens so tun, als sei er ein geistesgestörtes Mädchen.
Nach wenigen Tagen hatte Don Juans Furcht nachgelassen. Ja, er wurde so zuversichtlich, daß er sich kaum noch an seine Furcht erinnerte. Wären die Kleider nicht gewesen, die er trug, er hätte sich einbilden können, das ganze Erlebnis sei nur ein Traum gewesen.
Unter solchen Bedingungen in Frauenkleidern herumzulaufen, erforderte natürlich eine Reihe von gründlichen Veränderungen. Belisarios Frau gab Don Juan allen Ernstes Nachhilfestunden in fraulichem Verhalten. Don Juan half ihr kochen, waschen und Feuerholz sammeln. Belisario rasierte Don Juan den Kopf und bestrich ihn mit einer übelriechenden Tinktur; den Maultiertreibern erzählte er, das Mädchen sei von Läusen befallen gewesen. Weil er damals noch immer ein bartloser Junge war, sagte Don Juan, sei es nicht schwer gewesen, sich als Frau auszugeben. Doch er haßte sich und all diese Leute, und vor allem sein Schicksal. In Frauenkleidern herumzulaufen und Frauenarbeit zu tun, das war mehr, als er ertragen konnte.
Eines Tages hatte er genug. Die Maultiertreiber brachten das Faß zum Überlaufen. Sie erwarteten und verlangten, daß dieses sonderbare Mädchen sie hingebungsvoll bediene. Don Juan mußte sich dauernd ihrer Annäherungsversuche erwehren.
Ich fühlte mich gezwungen, eine Frage zu stellen.
»Steckten die Maultiertreiber mit deinem Wohltäter unter einer Decke?« fragte ich.
»Nein«, antwortete er und lachte schallend. »Sie waren einfach zwei brave Leute, die zeitweilig in seinen Bann geraten waren. Er hatte ihre Maultiere gemietet, um Heilpflanzen zu transportieren, und ihnen erzählt, er wolle sie ordentlich entlohnen, wenn sie ihm halfen, eine junge Frau zu kidnappen.
Die Taten, zu denen der Nagual Julian fähig war, überforderten meine Phantasie. Ich versuchte mir Don Juan vorzustellen, wie er sich sexueller Avancen erwehrte, und brüllte vor Lachen.
Don Juan setzte seinen Bericht fort. Damals habe er ein ernstes Wort mit dem Alten gesprochen, sagte er. Die Maskerade hatte lange genug gedauert, die Männer machten bereits Annäherungsversuche. Belisario aber empfahl ihm unbekümmert, etwas mehr Verständnis aufzubringen; Männer seien nun einmal Männer. Und wieder fing er an zu weinen - zur größten Verblüffung Don Juans, der schließlich die Frauen heftig verteidigte.
So leidenschaftlich beklagte er das Los der Frauen, daß er über sich selbst erschrak. Er sagte zu Belisario, es ginge ihm nun so schlecht, daß er lieber der Sklave des Ungeheuers geblieben wäre.
Don Juans Unruhe steigerte sich noch, als der Alte, hemmungslos weinend, dummes Zeug zu schwatzen begann: Das Leben sei süß, und der geringe Preis, den man dafür bezahlen müsse, sei doch ein Witz. Das Ungeheuer werde Don Juans Seele verschlingen und ihm nicht einmal gestatten, sich umzubringen. »Flirte doch mit den Maultiertreibern«, empfahl er Don Juan in beschwichtigendem Ton. »Sie sind primitive Bauern. Sie wollten nur ein wenig spielen. Stoße zurück, wenn sie dich schubsen. Laß sie dein Bein streicheln. Was kümmert es dich?« Und wieder weinte er hemmungslos. Don Juan fragte ihn, warum er so weine. »Weil du der perfekte Mann bist für all dies«, sagte er, und sein Körper krümmte sich unter leidenschaftlichem Schluchzen.
Don Juan dankte ihm für seinen guten Willen, für all die Mühe, die er sich um seinetwillen machte. Aber, so sagte er zu Belisario, jetzt fühle er sich in Sicherheit und wolle
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