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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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begreifen, verlangte er, daß Rücksichtslosigkeit niemals Härte sein dürfe, List niemals Grausamkeit, Geduld niemals Nachlässigkeit und Sanftheit niemals Albernheit.
    Er lehrte ihn, daß diese vier Schritte geübt und vervollkommnet werden müßten, bis sie so glatt von der Hand gingen, daß sie unbemerkt blieben. Er glaubte, die Frauen wären geborene Pirscherinnen. Er glaubte so fest daran, daß er behauptete, nur als Frau verkleidet könne ein Mann wirklich die Kunst des Pirschens erlernen.
    »In jeder Stadt, die wir passierten, gingen wir zusammen auf den Markt, und ich feilschte mit jedermann«, fuhr Don Juan fort. »Mein Wohltäter stand neben mir und beobachtete mich. >Sei rücksichtslos, aber charmant<, pflegte er zu sagen. >Sei listig, aber freundlich. Sei sanft, aber lebensgefährlich. Nur Frauen sind dazu fähig. Wenn ein Mann so handelt, benimmt er sich nur geziert.<« Manchmal tauchte das Ungeheuer auf, als wollte es dafür sorgen, daß Don Juan auf dem richtigen Kurs blieb. Don Juan sah es manchmal durch das Land streifen. Er sah es meist, nachdem Belisario ihm kräftig den Rücken massiert hatte - angeblich, um einen stechenden Nervenschmerz in seinem Nacken zu lindem. Don Juan lachte und meinte, er habe keine Ahnung gehabt, daß er in den Zustand gesteigerter Bewußtheit hineinmanipuliert wurde. »Es dauerte einen Monat, bis wir die Stadt Durango erreichten«, fuhr Don Juan fort. »In diesem Monat bekam ich einen Vorgeschmack auf die vier Stimmungen des Pirschens. Es veränderte mich eigentlich kaum, aber es gab mir eine Ahnung, was es heißt, eine Frau zu sein.«
    Er schwieg lange, wie mir schien. Dann machte er eine Bemerkung, die mich eigentlich nicht überraschen sollte - aber sie tat es. Er sagte, er habe mich im Norden Mexikos die vier Stimmungen des Pirschens gelehrt, und zwar mit Hilfe von Vicente Medrano und Silvio Manuel. Er gab dazu keine weitere Erklärung, sondern ließ seine Worte nachwirken. Ich versuchte mich zu erinnern, aber schließlich gab ich es auf. Am liebsten hätte ich schreiend beteuert, ich könnte mich nicht erinnern an etwas, das niemals stattgefunden habe.
    Während ich meinen Protest vorzubringen suchte, beschlichen mich ängstliche Zweifel. Ich wußte, Don Juan sagte so etwas nicht, um mich zu ärgern. Wie immer, wenn ich mich an Zustände gesteigerter Bewußtheit erinnern sollte, wurde mir schmerzlich bewußt, daß eigentlich kein Zusammenhang bestand zwischen den Ereignissen, die ich unter seiner Führung erlebte. Diese Ereignisse hingen nicht in zeitlicher Reihenfolge zusammen, wie die Ereignisse meines Alltagslebens es taten. Es war gut möglich, daß Don Juan recht hatte. In seiner Welt gab es nichts, dessen ich mir sicher sein durfte.
    Ich wollte meine Zweifel äußern, aber er hörte mich nicht an; vielmehr forderte er mich auf, mich zu erinnern. Inzwischen war es ganz dunkel geworden. Ein Wind war aufgekommen, aber ich spürte keine Kälte. Don Juan hatte mir einen flachen Stein gegeben, den ich mir auf die Brust legen sollte. Mein Bewußtsein nahm die ganze Umgebung sehr scharf wahr. Plötzlich spürte ich einen Sog, der weder von außen noch von innen zu kommen schien; vielmehr war es ein Gefühl, als ob irgend etwas unentwegt an einem Teil von mir zerrte. Und dann erinnerte ich mich mit erschütternder Klarheit an eine Begegnung, die ich vor ein paar Jahren gehabt hatte. Ich erinnerte mich an Ereignisse und Menschen - so lebhaft, daß es mich erschreckte. Ich schauderte.
    Ich erzählte es Don Juan, der nicht beeindruckt schien. Er ermahnte mich nur, meiner seelischen oder körperlichen Furcht nicht nachzugehen.
    Meine Erinnerung war so phänomenal, daß es schien, als erlebte ich das Ereignis noch einmal. Don Juan schwieg. Er sah mich nicht einmal an. Ich war wie betäubt. Das Gefühl der Betäubung wich nur langsam. Ich sagte zu Don Juan, was ich ihm immer sagte, wenn ich mich an ein Ereignis ohne zeitliche Reihenfolge erinnerte.
    »Wie kann das sein, Don Juan? Wie konnte ich all dies vergessen?«
    Und er beruhigte mich, wie er es in solchen Fällen tat.
    »Dies ist eine Art von Vergessen, die nichts mit der normalen Erinnerung zu tun hat«, versicherte er mir. »Es hängt zusammen mit der Bewegung des Montagepunktes.«
    Ich wisse zwar sehr genau, was die Absicht sei, sagte er, aber ich beherrschte dieses Wissen noch nicht. Wenn man wisse, was die Absicht sei, müsse man dieses Wissen jederzeit erklären oder anwenden können. Ein Nagual sei aufgrund

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