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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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einem schwachen Greis von siebzig Jahren in einen kräftigen jungen Mann von Mitte zwanzig erlebt, und ich glaubte ihm aufs Wort, daß das Alter nur eine Verkleidung sei. Seine Frau hatte sich aus einer mürrischen, fetten Indianerin in eine schöne und schlanke junge Frau verwandelt. Die Frau hatte sich natürlich nicht auf dieselbe Weise verwandelt wie mein Wohltäter. Er hatte ganz einfach die Frau verändert. Natürlich hätte ich das alles damals erkennen können, aber klug werden wir immer nur langsam und schrittweise.«
    Der alte Mann, sagte Don Juan, habe ihm versichert, daß seine Wunde nun geheilt sei, auch wenn er sich noch nicht völlig wohl fühlte. Dann umarmte er Don Juan und flüsterte mit wahrhaft trauriger Stimme: »Du hast dem Ungeheuer so gut gefallen, daß es mich und meine Frau aus der Knechtschaft entlassen hat, um dich als seinen einzigen Diener zu nehmen.«
    »Ich hätte ihn ausgelacht«, fuhr Don Juan fort, »wäre nicht dieses dumpfe tierische Knurren und ein fürchterliches Gepolter gewesen, das aus den Zimmern des Ungeheuers kam.«
    Don Juans Augen leuchteten vor innerer Wonne. Ich versuchte ernst zu bleiben, aber ich mußte unwillkürlich lachen.
    Belisario, der Don Juans Furcht erkannte, entschuldigte sich überschwänglich für diese Laune des Schicksals, die ihn selbst in die Freiheit und Don Juan in die Sklaverei geführt habe. Er schnalzte verächtlich mit der Zunge und verfluchte das Ungeheuer. Tränen standen ihm in den Augen, als er all die Pflichten aufzählte, die das Ungeheuer jeden Tag erfüllt sehen wollte. Und als Don Juan protestierte, vertraute er ihm an, daß es keinen Ausweg gäbe, weil das Ungeheuer über unerreichbare Kenntnisse der Hexerei verfüge.
    Don Juan bat Belisario, ihm irgendeine Strategie zu empfehlen. Und Belisario begann mit einer weitschweifigen Erklärung, daß strategische Pläne lediglich im Umgang mit normalen Menschen angebracht wären. In menschlichen Situationen könnten wir Pläne und Ränke schmieden und damit - je nach unserem Glück, unserer List und Entschlossenheit - auch Erfolg haben. Doch angesichts des Unbekannten, und besonders in Don Juans Situation, könne man nur auf ein Überleben hoffen, wenn man bereit sei, zu verstehen und sich zu fügen.
    Kaum hörbar murmelnd, gestand Belisario Don Juan, er werde nach dem Staat Durango ziehen und dort die Zauberei erlernen, um sicherzugehen, daß das Ungeheuer ihn nie mehr verfolgen könne. Er fragte Don Juan, ob auch er daran dächte, die Zauberei zu erlernen. Don Juan, ganz entsetzt bei der bloßen Vorstellung, erklärte, mit Hexen wolle er nichts zu tun haben.
    Don Juan hielt sich den Bauch vor Lachen und gab zu, daß es ihm Spaß mache, sich auszumalen, wie sein Wohltäter diesen Wortwechsel genossen haben mochte. Besonders als er selbst, starr vor Angst und Selbstgerechtigkeit, diese harmlose Einladung, die Zauberei zu erlernen, mit den Worten zurückwies: »Ich bin ein Indianer. Von Geburt bin ich dazu erzogen, Hexen zu hassen.« Belisario wechselte Blicke mit seiner Frau, und sein Körper begann zu zittern. Don Juan merkte, daß er lautlos weinte - offensichtlich verletzt durch die Zurückweisung. Seine Frau mußte ihn stützen, bis er seine Haltung wiederfand.
    Nachdem Belisario und seine Frau gegangen waren, kehrte er noch einmal zurück, um Don Juan einen letzten guten Rat zu geben. Er sagte, daß das Ungeheuer Frauen verabscheue und er, Don Juan, sich nach einem männlichen Ersatz umsehen solle - für den unwahrscheinlichen Fall, daß das Ungeheuer an diesem Gefallen finden und die Sklaven wechseln mochte. Allerdings dürfe er sich nicht zuviel erhoffen, denn es könne Jahre dauern, bevor das Ungeheuer ihm erlaubte, das Haus zu verlassen. Das Ungeheuer wolle sichergehen, daß seine Sklaven ihm treu ergeben oder doch gehorsam wären.
    Don Juan hielt es nicht mehr aus. Er brach weinend zusammen und sagte zu Belisario, daß niemand ihn versklaven könne. Er habe immer die Möglichkeit, sich umzubringen. Der Alte, gerührt durch Don Juans Gefühlsausbruch, gestand ihm, er habe einst denselben Gedanken gehabt; leider jedoch habe das Ungeheuer seine Gedanken gelesen und ihn daran gehindert, sich das Leben zu nehmen, so oft er es auch versuchte.
    Belisario erneuerte sein Angebot, Don Juan nach Durango mitzunehmen, um dort die Zauberei zu erlernen. Dies sei die einzige Möglichkeit. Dieser Vorschlag, sagte Don Juan zu ihm, sei wie ein Sprung vom Regen in die Traufe.
    Belisario weinte laut und

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