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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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erfüllt es«, räumte Don Juan ein. »Aber solch ein Zweck ist schon eines Durchschnittsmenschen unwürdig - für einen Zauberer ist er ein Hohn. Ohne eine klare Vorstellung vom Tod gibt es keine Ordnung, keine Besonnenheit, keine Schönheit. Die Zauberer streben nach dieser Einsicht, die ihnen mit tiefster Klarheit zu erkennen helfen soll, daß sie keinerlei Gewißheit haben, ob ihr Leben über den Augenblick hinaus andauern wird. Diese Erkenntnis gibt Zauberern den Mut, geduldig zu sein und dennoch zu handeln; den Mut, sich in ihr Schicksal zu fügen, ohne deshalb dumm zu sein.«
    Don Juan sah mich lange an. Er lächelte und schüttelte den Kopf.
    »Ja«, fuhr er fort. »Die Vorstellung des Todes ist das einzige, was den Zauberern Mut geben kann. Seltsam, nicht wahr? Sie gibt den Zauberern Mut, listig zu sein, ohne eingebildet zu sein, und vor allem gibt sie ihnen Mut, rücksichtslos zu sein, ohne überheblich zu sein.«
    Wieder lächelte er und gab mir einen Rippenstoß. Ich sagte ihm, daß ich völlig verängstigt sei durch die Vorstellung meines Todes, daß ich pausenlos an ihn dächte, daß sie mir jedoch absolut keinen Mut mache oder mich gar zum Handeln ansporne. Sie mache mich lediglich zynisch und lasse mich in tiefste Melancholie versinken.
    »Dein Problem ist ganz einfach«, sagte er. »Du bekommst leicht Zwangsvorstellungen. Ich habe dir immer wieder gesagt, daß die Zauberer sich selbst anpirschen, um die Macht ihrer Zwangsvorstellungen zu brechen. Es gibt viele Arten, sich selbst anzupirschen. Wenn du die Vorstellung deines Todes nicht nutzen willst, um dich selbst anzupirschen, dann nutze eben die Gedichte, die du mir manchmal vorliest.«
    »Wie bitte?«
    »Ich habe dir doch erzählt, daß ich Gedichte aus vielen Gründen liebe«, sagte er. »Mit ihrer Hilfe pirsche ich mich selbst an. Mit ihrer Hilfe versetze ich mir einen Schock. Ich höre zu, und während du vorliest, schalte ich meinen inneren Dialog ab und lasse meine innere Stille sich entfalten. Das Zusammenwirken des Gedichts mit der Stille versetzt mir dann den Schock.«
    Die Dichter, erklärte er, sehnen sich unbewußt nach der Welt der Zauberer. Weil sie keine Zauberer auf dem Pfad der Krieger sind, ist diese Sehnsucht das einzige, was sie haben.
    »Sehen wir mal, ob du spürst, wovon ich spreche«, sagte er und reichte mir einen Gedichtband von Jose Gorostiza.
    Ich schlug beim Lesezeichen auf, und er deutete auf das Gedicht, das er liebte.
     
    ... dieses unaufhörliche beharrliche Sterben,
    dieser lebendige Tod
    der dich mordet, o Gott,
    in deinem unerbittlichen Werk,
    in den Rosen, in den Steinen,
    in den unbezwingbaren Sternen
    und in dem Fleisch, das niederbrennt
    wie ein Freudenfeuer, entzündet durch ein Lied,
    einen Traum,
    ein Farbton, der das Auge trifft.
     
    ... und du, du selbst
    starbst vielleicht Ewigkeiten von hier,
    ohne daß wir davon erfuhren,
    wir - Bodensatz, Krumen und Asche von dir;
    du, der du immer noch gegenwärtig bist,
    wie ein Stern, vorgetäuscht durch sein Licht,
    ein leeres Licht ohne Stern,
    das uns erreicht,
    verborgen
    in seiner unendlichen Katastrophe.
     
    »Wenn ich diese Worte höre«, sagte Don Juan, als ich zu Ende gelesen hatte, »spüre ich, daß dieser Mann das Wesen der Dinge sieht, und ich kann mit ihm sehen. Ich kümmere mich nicht darum, wovon das Gedicht handelt. Ich kümmere mich nur um das Gefühl, das die Sehnsucht des Dichters mir vermittelt. Ich borge mir seine Sehnsucht, und mit ihr borge ich die Schönheit. Und ich staune über die Tatsache, daß er - wie ein wahrer Krieger - diese freigiebig an die Empfänger, an die Betrachter verschenkt und für sich nur die Sehnsucht behält. Dieser Anstoß, dieser Schock ist das Pirschen .«
    Ich war tief bewegt. Don Juans Erklärung hatte eine sonderbare Saite in mir angeschlagen.
    »Würdest du sagen, Don Juan, daß der Tod der einzige wirkliche Feind ist, den wir haben?« fragte ich ihn kurz darauf.
    »Nein«, sagte er mit Überzeugung. »Der Tod ist kein Feind, auch wenn er es zu sein scheint. Der Tod ist nicht unser Zerstörer, auch wenn wir dies glauben.« »Was ist er denn, wenn nicht unser Zerstörer?« fragte ich.
    »Die Zauberer sagen, der Tod ist der einzige würdige Gegner, den wir haben«, antwortete er. »Der Tod ist unser Herausforderer. Um seine Herausforderung anzunehmen, sind wir geboren - ob Durchschnittsmenschen oder Zauberer. Die Zauberer wissen davon; die Durchschnittsmenschen nicht.«
    »Ich selbst würde sagen, Don Juan,

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