Die Kreuzzüge
Mittelalter heraus in die verheißungsvolle Ära der Renaissance befördert; der Islam hingegen, der sich in seinem Bemühen um den Sieg zunehmend militarisierte und radikalisierte, erntete am Ende nichts als jahrhundertelange Isolierung und Stagnation. Häufig sah man in diesen heiligen Kriegen apokalyptische Konflikte, die unauslöschliche Narben ethnischen und religiösen Hasses hinterließen und einen endlosen Teufelskreis von Feindseligkeiten in Gang setzten. Derartige Schlagworte können nur aus starker Vereinfachung und Übertreibung hervorgehen. Zweifellos gab es in der mittelalterlichen Welt zwischen den Jahren 1000 und 1300 Umwälzungen in vielfacher Hinsicht. Die Zeit war geprägt durch Bevölkerungswachstum, Migrationsbewegungen und Urbanisierung; Bildung, Technik und Kunst verzeichneten immense Fortschritte; der Fernhandel griff immer weiter aus. Welche Rolle die Kreuzzüge dabei im Einzelnen spielten, ist allerdings nach wie vor umstritten. Jeder Versuch, die Auswirkungen dieser Bewegung genau festzumachen, bringt erhebliche Probleme mit sich, weil er die Möglichkeit voraussetzt, im Gewebe der Geschichte einen einzigen Handlungsstrang aufzuspüren und von den anderen zu isolieren – und anschließend hypothetisch eine Welt zu rekonstruieren, in der dieser Strang nicht vorkommt. Einige Auswirkungen sind vergleichsweise deutlich zu erkennen, allerdings müssen viele Beobachtungen notgedrungen stark generalisierend ausfallen. Mit Sicherheit war der Krieg um das Heilige Land nicht die einzige Bewegung, die im Mittelalter eine Rolle spielte. Aber natürlich beeinflussten die Kämpfe in der Levante die Geschichte des Mittelalters, vor allem die Geschichte des Mittelmeerraums.
Das östliche Mittelmeer
Die – reale ebenso wie die imaginierte – Bedrohung durch die Franken konfrontierte die muslimische Welt mit einem Feind, gegen den sie sich zusammenschließen musste, und sie lieferte einen Grund, für den es zu kämpfen galt. Dadurch wurden Nur ad-Din und nach ihm Saladin in die [713] Lage versetzt, die Idee des Dschihads neu zu beleben. Außerdem konnten sie den Islam des Vorderen Orients in einem Ausmaß zu einer Einheit zusammenschweißen, das alle Entwicklungen seit der frühen Ära der ersten muslimischen Expansion im 7. Jahrhundert übertraf. Als dann noch die Bedrohung durch die Mongolen hinzukam, kulminierte dieser Prozess in der Gründung eines einheitlichen Staates unter Baibars und Qalawun.
Allerdings veränderte sich das Verhältnis des Islams zu den abendländischen Christen kaum, obwohl es ja in dieser Zeit, sei es nun in Kriegs- oder in Friedensphasen, zu häufigen Kontakten zwischen Muslimen und Lateinern kam. Die alten Vorurteile blieben bestehen, darunter die bekannten Missverständnisse um den christlichen Glaubenssatz der Heiligen Dreifaltigkeit als angeblichem Polytheismus; die tief verwurzelte Skepsis im Blick auf die – im Islam verbotene – Verwendung religiöser Bilder und wilde Spekulationen über sexuelle Ausschweifungen der Franken. Die räumliche Nähe scheint wenig zur Förderung des Verständnisses oder der Toleranz beigetragen zu haben. Doch die Ankunft der Kreuzfahrer führte – entgegen der Darstellung einiger Historiker – auch nicht dazu, dass sich das Verhältnis der Muslime zu den Christen im Osten verschlechtert hätte. Vereinzelt kam es zu einer Abkühlung der Beziehungen, vor allem wenn einheimische Christen, die unter muslimischer Herrschaft lebten, verdächtigt wurden, die Franken zu unterstützen oder als Spione für sie tätig zu sein, doch insgesamt änderte sich bis zum Aufstieg der fanatischeren Mamluken nur wenig.
Für den Islam wie auch für die abendländische Christenheit vollzog sich der wohl stärkste Wandel, den die Kreuzzüge bewirkten, auf dem Gebiet des Handels. Muslime aus der Levante pflegten bereits vor dem ersten Kreuzzug einige vereinzelte wirtschaftliche Kontakte in Europa, aber im Lauf des 12. und 13. Jahrhunderts nahmen diese Handelsbeziehungen – ganz überwiegend in Folge der lateinischen Siedlungen im östlichen Mittelmeerraum – exponentiell zu. Die Kreuzzüge sowie die Existenz der Kreuzfahrerstaaten veränderten die mediterranen Handelsrouten – am signifikantesten wohl nach der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1204 – von Grund auf; sie spielten eine entscheidende Rolle bei den aufstrebenden Handelsstädten Venedig, Pisa und Genua. Ebenfalls seit ungefähr 1200 wurden in Europa arabische Zahlzeichen verwendet, was auch
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