Die Kreuzzüge
Kriegen waren auch sie wohl von dem aufrichtigen Wunsch beseelt, sich geistigen Lohn zu erwerben. Selbst ein machthungriger Kriegsherr wie Saladin, der den Konflikt zwischen den Religionen durchaus für seine eigenen Ziele zu nutzen verstand, erfuhr offenbar ein sich zunehmend vertiefendes spirituelles Bedürfnis, Jerusalem wiederzugewinnen und zu verteidigen. Natürlich waren diese religiösen Impulse nicht bei sämtlichen Kreuzfahrern, fränkischen Siedlern oder muslimischen Kriegern gleich ausgeprägt, doch der durchdringende, anhaltende Pulsschlag des Glaubens blieb während des gesamten 200-jährigen Kampfes um die Levante immer spürbar.
Dieses religiöse Element verlieh den Kreuzzügen ihren besonderen Charakter, es war die Grundlage für unglaubliche Leistungen in Sachen Widerstandsfähigkeit, Tapferkeit, aber auch für Akte krassester Intoleranz. Und es macht verständlich, wie und warum Zehntausende Christen und Muslime über so viele Jahrzehnte hinweg nicht aufhörten, sich an diesem langwierigen Kampf zu beteiligen. Das Engagement der Muslime des Vorderen Orients ist dabei noch leichter zu verstehen. Der Dschihad war eine religiöse Verpflichtung, keine freiwillige Bußübung; [707] außerdem konnten Generationen von Muslimen sich von der steigenden Zahl zangidischer, ajjubidischer und mamlukischer Siege inspirieren lassen. Weniger leicht zu verstehen ist im Vergleich dazu der anhaltende Reiz des Kreuzzugsgedankens im Abendland, der bestehen blieb trotz einer langen Reihe kläglicher Niederlagen sowie der Umlenkung heiliger Kriege auf andere Konfliktschauplätze. Dass sich auch im 12. und 13. Jahrhundert und darüber hinaus Menschen für einen Kreuzzug anwerben ließen, belegt den unwiderstehlichen Reiz, der von dem Akt ausging, das Kreuz zu nehmen und sich als aktiver Teil einer Unternehmung anzuschließen, die die Ideale militärischen Dienstes und religiöser Bußübungen verschmolz und am Ende die Seele von allen Sünden zu reinigen versprach. Seit 1095 machten sich die lateinischen Christen aus ganzem Herzen die Vorstellung zu eigen, dass die Teilnahme an einem Kreuzzug eine zulässige und wirksame Form frommer religiöser Praxis darstellte. Es gibt so gut wie kein Anzeichen dafür, dass sich irgendjemand unter den mittelalterlichen Zeitgenossen kritische Gedanken gemacht hätte über diese Verschmelzung von Gewalt und Religion. Selbst als die Kritik am Kreuzzugsgedanken immer lauter wurde, bezogen sich die Fragen auf äußere Probleme wie die sinkenden Rekrutierungszahlen und die schwindende Spendenbereitschaft, nicht auf das zugrundeliegende Prinzip, dass Gott Kriege, die in seinem Namen geführt werden, gutheißt, unterstützt und belohnt. 2
Die Gründe für Sieg und Niederlage
Nicht nur die anhaltende Attraktivität des Kreuzzugsgedankens ist bemerkenswert, sondern auch das damit zusammenhängende Überleben des fränkischen Outremer über fast 200 Jahre. Doch kann man auch nicht die Augen davor verschließen, dass die Lateiner den Krieg um das Heilige Land am Ende verloren haben. Der Weg vom Sieg des ersten Kreuzzugs 1099 bis zum Untergang Akkons 1291 war zwar nicht einfach eine Abwärtsspirale aus Niederlagen und Verfall. Ebenso wenig kann jedoch – angefangen beim Scheitern des zweiten Kreuzzugs vor Damaskus im Jahr 1148 bis hin zur schmählichen Gefangennahme Ludwigs IX. in Ägypten im Jahr 1250 – von einer Woge des Erfolgs die Rede sein. Historiker pflegen diesen Trend überwiegend damit zu erklären, dass sie die Gründe beim Islam suchen – in der angeblich neu belebten Begeisterung für den [708] Dschihad sowie im fortschreitenden Einigungsprozess im gesamten Vorderen Orient. Tatsächlich war jedoch bis zu der Zeit, als die Mamluken an die Macht kamen, die Begeisterung für den heiligen Krieg ein eher sporadisches Phänomen, und die angebliche panlevantinische Einigkeit bestand bestenfalls oberflächlich. Natürlich wirkten sich die Ereignisse innerhalb des Islams auf den Ausgang der Kreuzzüge aus, doch gab es noch andere und wahrscheinlich schwerwiegendere Einflüsse.
Das Prinzip Kreuzzug als solches war der eigentliche Grund, warum die Christenheit am Ende im Kampf um die Herrschaft über den östlichen Mittelmeerraum scheiterte. Die Idee eines heiligen Krieges blieb zwischen 1095 und 1291 nicht unverändert. Sie entwickelte sich weiter und wurde fortgeschrieben – obwohl sich diese Veränderungen den Zeitgenossen nicht immer gleich erschlossen –, und sie wurde an die
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