Die Kriegerin der Kelten
traurig, aber wiederum auch nicht derart verzweifelt, wie man es vielleicht hätte erwarten können. »Ich werde auf sie warten, so wie wir alle aufeinander warten, drüben, am anderen Ufer des Flusses. Und auch das weiß Airmid bereits. Und natürlich warte ich auch auf dich und auf deine Kinder und die Kinder deiner Kinder. Ich werde ihnen Kraft schenken bis ans Ende dieser Welt, bis zum Tod der vier Winde. Sag ihnen das, wenn sie aufwachsen, auf dass sie es niemals vergessen. Nun aber muss ich gehen. Wirst du den Reif an dich nehmen? Bitte? Ich möchte gern sehen, dass du ihn nimmst, ehe ich gehe.«
Hätte Graine der Zeit Einhalt gebieten können, indem sie einfach nur dagestanden hätte, schweigend, ohne den Reif zu berühren, so hätte sie wohl für den Rest ihres Lebens so verharrt und wahrscheinlich sogar noch darüber hinaus. Doch sie waren nicht mehr allein; schon waren noch andere hinzugekommen. Die Träumerin der Ahnen war da, ebenso wie Macha, die einst das Bild von Valerius in Graines Traum gesandt hatte, und auch Graines Großvater war erschienen, jener Mann, dessen Schwert sie angefasst und somit das Ende ihrer Mutter heraufbeschworen hatte, und schließlich noch ein Mann, den Graine nicht kannte, der jedoch leuchtend blondes Haar hatte und auf dessen Siegelring das Zeichen des Sonnenhundes prangte. Dann, als Graine schließlich auch Dubornos erblickte, flankiert von den Krähen Brigas, wusste sie, dass sie nicht mehr länger warten durfte.
Der Halsreif der Ahnen war schmaler als der ihrer Mutter, und durch das neunsträngige Goldgeflecht zogen sich neben dem tiefen Rotgold der Silurer auch Fäden aus Weißgold. Der Reif schmiegte sich um Graines Hals, als wäre er eigens für sie angefertigt worden, und schwer legten die beiden Endstücke sich auf ihre Schlüsselbeine. Langsam ließ Graine die Hände wieder sinken, wartete darauf, dass die Welt wieder leer würde, so wie in jenem Augenblick, als sie den Halsreif ihrer Mutter getragen hatte.
Doch nichts dergleichen geschah. Graine war enttäuscht und überrascht zugleich. Dann spürte sie noch einmal die sanfte Berührung der Lippen ihrer Mutter und ihren Atem, der abermals vom Scheitel bis hinab in ihre Fußsohlen reichte. Das Licht in der Höhle wurde immer wärmer, und die Geister, die in diesem Licht schwebten, wurden immer deutlicher sichtbar. Kritisch neigte die Ältere Großmutter den Kopf zur Seite und beäugte Graine.
Für jemanden, der so begabt ist wie du, hast du immer noch eine ganze Menge nicht kapiert. Du musst noch viel lernen. Und fang besser gar nicht erst an zu glauben, du wüsstest die Antwort bereits. Solltest du jemals dem Glauben verfallen, du wüsstest Bescheid, dann wird der Hochmut dich töten.
Graine wollte entgegnen, dass es sie überhaupt nicht interessierte, wer oder was sie tötete, wenn sie nur endlich wieder bei ihrer Mutter sein dürfte, doch da hatte Breaca sich schon vor sie gekniet, löste die silberne Feder von der Kordel um ihren Hals und steckte sie an Graines Torques fest, hakte die Feder einmal quer über beide Endstücke, sodass sie dazwischen geradezu zu schweben schien. »Die Feder ist mein ganz persönliches Geschenk an dich. Sie stammt weder von der Reihe unserer Ahnen noch von den Göttern und auch nicht aus der Vergangenheit. Sag Airmid das. Sie wird es dann schon geschehen machen.«
Damit trat Breaca wieder von Graine zurück. Die anderen Geister waren längst verschwunden, mit Ausnahme von Dubornos, der noch wartete, Seite an Seite mit dem Schatten eines Gottes, nein, mit den Schatten aller Götter, die ebenfalls warteten.
»Du solltest jetzt zurückkehren«, erklärte Breaca Graine. »In dir liegt die Zukunft, alle Zukunft dieser Welt, ebenso wie alle Vergangenheit. Allein dafür musst du leben. Und vergiss niemals, dass ich dich liebe.« Dann war sie verschwunden.
EPILOG
Von allen, die Breaca hätten folgen können, war Valerius es, der sich nun zu ihr ans Ufer des Flusses gesellte. Sie war überrascht.
»Airmid kümmert sich um Longinus«, begann er, wie um seine Anwesenheit zu erklären. »Madb und Huw haben ihn auf dem Schlachtfeld gefunden und ihn mit sich genommen, als sie flohen. Es besteht zwar noch immer die Möglichkeit, dass er dir folgen wird... Aber wir tun unser Bestes, um ihn noch eine Weile bei uns zu behalten.« Das vertraute, trockene Lächeln huschte über seine Lippen. »Es wäre schon sehr schmerzhaft, euch beide in derselben Schlacht zu verlieren.«
Ich bin nicht
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