Die Kultur der Reparatur (German Edition)
sich z. B. heute ja auch vielfach besser in diesen Wachstumsmärkten, und warum, könnte man fragen, sollten die Menschen dort nicht den gleichen Wohlstand genießen wie wir. Die Diskussion, ob die Erde dasselbe „Wohlstandsniveau“ für alle bei einer immer noch wachsenden Erdbevölkerung überhaupt ertragen kann, wird vorwiegend in den gesättigten Märkten geführt, verständlicherweise jedoch nicht von der chinesischen Mittelschicht, die einen Nachholbedarf spürt, und erst recht nicht von Menschen in armen Ländern, die zu Recht Entwicklungschancen und Verteilungsgerechtigkeit fordern. Es ist daher essenziell, dass sich viele Menschen, angefangen von der UNO bis hin zu Hilfsorganisationen, Thinktanks und NGOs, mit der globalen Wohlstandsfrage, die zugleich eine Ressourcen- und Umweltfrage ist, beschäftigen.
Wachstum ist bisher ein zentraler Begriff in einem erfolgreichen ökonomischen Modell, historisch gesehen eine gewichtige Antwort auf Mangel und Arbeitslosigkeit. Mehr Wachstum führt zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Und wer als Partei kein wirtschaftliches Wachstum verspricht, hat es schwer, von Wählern akzeptiert zu werden. Dieses Denken hat lange funktioniert, aber wir leben in einem geschlossenen System, auf der Erde. Im Wesentlichen stehen uns nur natürliche Energien wie die der Sonne zur Verfügung. Die Energiewende in Deutschland stellt daher auch konsequenterweise Solar-, Wind- und Wasserenergiegewinnung in den Mittelpunkt des Wirtschaftsprozesses. Wenn wir immer weiter nur quantitativ wachsen wollen, wenn wir in zwanzig Jahren nicht nur über doppelt so viele Autos, sondern auch über doppelt so viele Computer, Mobiltelefone, Schwimmbadpumpen verfügen wollen, dann kann das nicht funktionieren. Ein solches globales Wachstum ist auf Dauer nicht durchzuhalten, bedingt durch die Verknappung der Rohstoffe, ganz zu schweigen von der steigenden Zahl von Müllkippen und den weiteren Auswirkungen, die die Wegwerfgesellschaft so mit sich bringt.
Der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin hat in seinen vielen Büchern deutlich zu verstehen gegeben, dass man Armut auf dieser Welt nur mit einem neuen Wirtschaftssystem bekämpfen kann. Ungebremstes Wachstum erklärt er als unökonomisch. Bis heute herrscht bei den Wirtschaftsfachleuten keine Einigkeit darüber, obwohl dieser Gedanke schon wirkkräftig ist, seit er von dem US-Ökonomen Dennis Meadows in seinem 1972 geschriebenen Bericht an den Club of Rome formuliert worden war. Letztlich geht es darum, ein anderes „Wachstumsmodell“ zu finden, eines, das auch einen gesellschaftlichen Wohlfühlfaktor berücksichtigt.
Altbundespräsident Horst Köhler hat in seiner Rede, die er 2009 in Augsburg anlässlich der Vergabe des Deutschen Umweltpreises gehalten hat, darauf hingewiesen, dass wir Menschen immer häufiger klagen, wir müssten materiellen Verzicht üben. Wir sollten uns stattdessen Gedanken darüber machen, worauf wir wirklich verzichten, wenn wir etwa stundenlang in einem Stau stehen, nämlich darauf, Zeit mit der Familie zu verbringen, mehr Ruhe zu haben. Wenn wir weiter in diese Richtung denken, bedeutet das, dass das Bruttosozialprodukt nicht mehr das alleinige Maß sein kann und das Wirtschaftswachstum nicht die wichtigste Größe für das Messen von Wohlstand. Mittlerweile gibt es zahlreiche Ansätze von Instituten, nicht mehr nur das Bruttosozialprodukt als alleinigen Wohlstandsindikator zu sehen, sondern auch weiche Faktoren wie Lebenserwartung, Gesundheit, Glück, Life-Work-Balance usw. Qualitatives Wachstum – etwa wenn ich ein Auto baue, das nur vier statt acht Liter Benzin auf hundert Kilometer braucht – muss einen noch höheren Stellenwert bekommen. Daher ist heute die Effizienzsteigerung, nicht wie früher die reine Erhöhung der Motorleistung, das Forschungsfeld der Ingenieure. Die Entwicklungen auf dem Gebiet der Mobilität werden in Zukunft riesige Veränderungen bringen, mit großen Chancen, gerade für die heimische Industrie, von fahrzeugtechnischen Revolutionen wie grundlegend neuen Antriebssystemen bis zu intelligenten Fahrerassistenz- und Verkehrsleitsystemen. Das betrifft nicht nur die Elektromobilität oder die Frage des Brennstoffzelleneinsatzes, basierend auf der Umwandlung jener Energie, die uns noch etwa sechs Milliarden Jahre zur Verfügung stehen wird, in Kohlenwasserstoffe (Solar to Fuel), sondern auch die Art und Weise, wie wir unsere Mobilität organisieren werden. Zunehmend könnte zumindest
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