Die Kultur der Reparatur (German Edition)
werden. Wir können es, wir müssen es nur tun!
Als sich mehr und mehr junge Leute dessen bewusst wurden, fingen sie an, ihren Protest zum Ausdruck zu bringen, indem sie aus Containern von Supermärkten, Discountern, Markthallen und Restaurants die Sachen herausholten, die noch verwertbar waren. Dumpster oder Dumpdiver nannten sich diejenigen, die zur Gegenbewegung aufriefen, jedenfalls in den USA: Von dort aus hatte das Containern und Mülltauchen, wie es in Deutschland genannt wird, seinen Ausgang genommen. Den Essensrettern geht es dabei aber nicht nur darum, sich aus einer Not heraus selbst zu ernähren oder allein auf die Überproduktion und die Essensvernichtung aufmerksam zu machen, sondern die containerten Lebensmittel auch für andere zur Verfügung zu stellen. Jedoch nicht im Sinne einer Armentafel. Unter dem Stichwort „Foodsharing“ werden die geretteten Lebensmittel – Obst und Gemüse mit wenigen braunen Stellen, die man leicht herausschneiden kann, oder verpackte Waren, die man sofort nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums auf den Müll wirft, beziehungsweise die eine eingeknickte Ecke vorzuweisen haben und vom Verbraucher missachtet werden würden – innerhalb der Gemeinschaft, in der man lebt, verteilt, oder man betreibt mit den Sachen aus dem Müll ein Restaurant, das nur den Aufwand der Mülltaucher und der Köche in Rechnung stellt. Natürlich dürfen die „Lokale“ unter dem Motto „Taste the Waste“ nur im Geheimen geführt werden, denn in Deutschland ist Containern verboten.
„Nichts verkommen lassen“ ist also nicht mehr nur Ausspruch der Nachkriegsgeneration, nicht mehr Verzichtsappell aufgrund einer Mangelwirtschaft, sondern ein Appell, in Zeiten der Überflussgesellschaft moralisch zu handeln, überschüssige Ware Bedürftigen zukommen zu lassen, statt sie wegzuschmeißen.
Dieser Trend lässt sich auch an anderen neuartigen Einrichtungen wie Umsonstläden feststellen, die Geschenkeboxen verteilen, mit Büchern, CDs, Kosmetika und was man sonst noch gebrauchen kann. „Gegenseitige Hilfe“ oder auch „Gratisökonomie“ sind Begriffe dafür. Es sind Aktionen gegen eine ausufernde Wegwerfgesellschaft, die man als zu wenig zielführend abtun kann, die jedoch eines eint: Sie machen das Problem bewusst.
Sinnvolles Wachstum
Money makes the world go round . Daran ist leider nichts zu rütteln. Wir wollen ja auch nicht im großen Stil zur Tauschwirtschaft zurück. Wenn wir jedoch weiter nur der Ökonomie eines quantitativen Wachstums folgen, werden wir am Ende alle verlieren. Ganz abgesehen davon, dass es auch in Deutschland genug Menschen gibt, die sich nicht jedes neue Handy leisten können. Der Armutsbericht der Bundesregierung 2012, nach dem jeder Siebte hierzulandeals „armutsgefährdet“ gilt, besagt, dass bei manchen Alleinstehenden mit Vollzeitjob der Stundenlohn nicht für die Sicherung des Lebensunterhalts reicht und der „gesellschaftliche Zusammenhalt“ dadurch geschwächt ist. Ganz zu schweigen von dem gesellschaftlichen Druck, der auf Kinder ausgeübt wird, die in ihrer Peer Group nur dann akzeptiert werden, wenn sie das neueste iPhone besitzen oder die coolen Boots von Nike. Es hat allerdings schon immer Familien gegeben, die sich diesem Druck entziehen konnten – einfach ist das allerdings nicht.
Die Werbung versucht uns jeden Tag davon zu überzeugen, dass wir noch ungestillte Bedürfnisse haben, da ist Wachstumskritik uncool. Es herrscht die Vorstellung vor, dass wir unbedingt etwas Neues kreieren müssen, damit wir überhaupt wachsen können. Viele kluge Menschen, darunter auch unser Ex-Bundespräsident Horst Köhler, haben in Debatten immer wieder darauf hingewiesen, dass Wachstum kein Selbstzweck sein kann und darf. Schärfer ausgedrückt: Wenn wir beispielsweise ein jährliches dreiprozentiges Wachstum im Bereich Flugzeugverkehr hätten, dann bedeutet das rein mathematisch gesehen für den Flugverkehr, dass in zwanzig Jahren doppelt so viele Passagiere transportiert werden wie heute. Das hätte immense Auswirkungen, auf den Flughafenbau, von der Logistik bis zur verkehrstechnischen Anbindung.
Natürlich gibt es noch Märkte, die Nachholbedarf haben, die noch längst nicht gesättigt sind. Recyclingtechnologien, Produkte und Dienstleistungen für eine alternde Gesellschaft, sauberes Wasser, Umwelt, Natur, Energie, Medizin usw.: In vielen Bereichen existieren vernünftige Wachstumsmärke, insbesondere in unterentwickelten Erdregionen. Automobile verkaufen
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