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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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die für sie organisiert wurde, entkam sie einer Zwangsheirat mit einem alten, brutalen, reichen Mann.
    Sie lebte in der Schweiz zwei Jahre lang in wechselnden Asylantenheimen, sogenannten Durchgangsheimen, lernte trotz einiger Sprachkurse kaum Deutsch und hat seit einem Jahr ein eigenes Zimmer in einem Asylantenheim. Bereits bei der Einreise war sie depressiv und traumatisiert.
    Es war ihr als Asylantin erlaubt, für wenig Geld in einer Fabrik zu arbeiten, was sie außerordentlich schätzte. Sie wollte für immer in der Schweiz bleiben.
    Doch es kam anders. Die Gesetzgebung gegenüber Ausländern wurde rigoros verschärft. Das Gesuch um ein Bleiberecht von Liberty in der Schweiz wurde zweimal abgelehnt. Sie wurde in ein weiteres Lager abgeschoben, wo sie nur noch ein Taschengeld erhielt und nicht mehr arbeiten durfte. So sollte sie mürbe werden, um in ihr Land zurückzugehen.
    Diese Vorstellung erschreckte und traumatisierte Liberty auf dramatische Weise. Sie kannte niemand mehr in ihrer früheren Heimat. Und sie hatte Panik, zurückzugehen. Wohin sollte sie dort gehen? Sie konnte nicht mehr schlafen, hatte dauernd Kopfschmerzen, Muskelschmerzen im ganzen Körper und vor allem Selbstmordgedanken. Das Leben im Lager erwies sich als ein Alptraum.
    Was war ihr Leben? Was war jetzt? Es war erzwungenes Beenden in einer erschreckenden Abfolge: Bei einem Busunfall starben Eltern und Geschwister; ihre Kindheit war beendet. Ihr gleichaltriger Freund im Dorf wurde ermordet. Sie flüchtete und kam in ein fremdes, kaltes Land. Es waren und sind ständige Wechsel und wieder ist die Perspektive, abgeschoben und fortgeschickt zu werden. Nun will sie dieses kalte Land verlassen. Es macht sie krank und unglücklich.
    So viele erzwungene Beendigungen von außen machen einen Menschen krank.
    Es tut weh, das als Mitmensch machtlos wahrzunehmen und zu begleiten. Liberty ist ein Beispiel unter unendlich vielen Flüchtlingen auf der ganzen Welt.
Ans Tageslicht treten – sich zeigen
    Physische, geistige und psychische Behinderungen bei Menschen – sei es von Geburt an oder durch einen Unfall oder eine Krankheit – bedeuten schwere Einschränkungen der Bewegung in der modernen, mobilen Gesellschaft. BehinderteMenschen wurden früher versteckt und ausgegrenzt. Heute haben sie sich einen sichtbaren, zu respektierenden und zu würdigenden Platz in unserer Gesellschaft errungen. Es ist ihr hart erkämpftes Verdienst, auf sich aufmerksam gemacht, ihr Leiden benannt und der Öffentlichkeit erfahrbar gemacht zu haben. Es ist ein bewusstes Beenden der Tradition, als Behinderte als Menschen zweiter Klasse zu leben.
    Ein Schicksalsschlag beendet oft in einer Sekunde die Möglichkeit, sein Leben auf die gewohnte Weise weiterzuführen. Und er verändert auch dasjenige der nächsten Menschen um diesen Menschen herum. Schicksalsschläge können jeden treffen. Sie bedeuten einen großen Schock und erfordern allen Lebensmut, um bestanden zu werden.
    Das betrifft neben der oben erwähnten Arbeitslosigkeit und der Migration psychische und physische Versehrungen, die von einem Tag auf den anderen das Leben verändern: Klinik, Operationen, aufwendige Behandlungen. Arbeitslosigkeit bzw. vorübergehende oder dauernde Arbeitsunfähigkeit, Verzicht darauf, Sexualität zu leben, Rollstuhl oder Blindenstock, Bettlägerigkeit, Geburt eines behinderten oder toten Kindes, Tod eines geliebten Menschen – und was der Schicksalschläge mehr sind, die einem das Leben urplötzlich bescheren kann. Es erfordert ein Beenden des bisherigen Lebens.
    Ein Trauma isoliert. Ein Mensch schämt sich; fühlt sich schuldig; zieht sich zurück. Die Sprache kommt ihm abhanden. Isolation und Einsamkeit. Dieses Szenario spielt sich häufig ab. Zum erlittenen Schicksalsschlag, der eine Lebensform beendet hat, kommt eine weitere Tragik. Körperlich, geistig und psychisch Behinderte haben es mit ihren Begleitern und Mitkämpfern geschafft, das Trauma sichtbar und öffentlich zu machen. Sie kämpfen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Ende damit. Beenden von Scham und Schuld und Schmach. Kampf für Würde und Respekt. Und die einzigartige Einladung an die Mitmenschen, zur Entwicklung von Mitgefühl und Solidarität eine einzigartige Gelegenheit zu bieten.
    Es ist heute nichts Neues mehr, wenn renommierte, in der Öffentlichkeit stehende Menschen Burnout erleben, an Aids oder Krebs erkranken, schwere Depressionen erleiden, nach einer Prostata-Operation impotent werden oder sichtbare

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