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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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Kontrolle eines Menschen über einen anderen in einer Art gegeben, die bisher nicht möglich war. Eine weitere Kontrollfunktion besteht in der Erwartung, dass über Mobiltelefon und E-Mail jeder Mensch täglich und stündlich zu erreichen sei. Wer nicht sofort reagiert, macht sich in irgendeiner Weise verdächtig.
    Die erwähnten Medien machen abhängig von Kommunikation, man nimmt selbst Kontakt auf oder man wird verlangt. In den öffentlichen Räumen wirken viele überaus beschäftigt und abgelenkt, auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln, an Bahnhöfen. Es gehört zum guten Ton, sein Handy ans Ohr zu klemmen und eine Zigarette zu rauchen. Vielleicht hört man zugleich auch noch Musik vom iPod. Es scheint fast, als verdiene das Hier und Jetzt des Ortes und der Menschen keine Aufmerksamkeit mehr. Man blickt sich kaum mehr an auf der Straße und im Zug, sondern pflegt seine virtuellen Kontakte. Und diese teilt man freizügig mit den wildfremden Personen rundum, da sie für einen keine wirkliche Bedeutung haben. Es sind neuartige Kommunikationsformen, die auch den Menschen und seinen Lebensstil verändern.
    Beginnen und Beenden : Es ist heute nicht mehr undenkbar, eine Beziehung via SMS oder E-Mail zu beginnen oder zu beenden. Die physische Präsenz und das Auge-in-Auge einer Aussprache werden häufig nicht mehr für nötig erachtet. Beenden wird formlos.
    Das ist erst dadurch möglich geworden, dass es für zunehmend mehr und vor allem junge Menschen nicht mehr spürbar ist, dass seelische Lebensprozesse – sich binden, sich entwickeln, sich trennen, trauern, heilen, sich neu ausrichten – Zeit brauchen, um nachhaltig bewältigt zu werden. Eine Beziehung wird wie ein Kleidungsstück angezogen und dann wieder ausgezogen. Sie ist etwas Äußerliches . Der innere Erlebensraum, die innere Resonanz fehlen.
    Das Verständnis von Kommunikation ist in grundsätzlicher Veränderung begriffen. Es gibt gewisse Anzeichen dafür, dass Individuen den Sinn für ihre Identität und ihre Grenzen verlieren. Die psychische Dimension des heutigen Menschen – sein Innenleben, seine Phantasien, Projekte, Ideale, Werte, Intimsphäre, Geheimnisse, Gebete – ist in höchstem Maß bedroht.
    Es fehlen die Möglichkeiten, die Ressourcen, um sein Inneres kennenzulernen und auszudrücken, da es von allen Seitenangefochten wird. In meiner Praxis lerne ich zunehmend Menschen kennen, die nicht mehr erzählen können, sondern Bericht erstatten; die nicht mehr träumen, weder am Tag noch in der Nacht; und die es nicht schaffen, ihre Leiden oder ihre Freuden mitzuteilen. Sie haben nie gelernt, unsichtbare und archaische Phänomene wahrzunehmen. Seien es Empfindungen, Gerüche, Geschmack, Intimität, Klänge und Tonlagen.
    Die politisch-gesellschaftlichen Veränderungen, die hier angesprochen werden, der Einfluss von Massenmedien und Kommunikationstechnologien, der Wandel von Familie und Sexualität schaffen offensichtlich ein neues Leiden der Seele bzw. eine neue Art von Patienten: Sie sind tiefverletzt in ihrem heutzutage typischen Narzissmus (ich bin doch jemand), mit hochambivalentem Bindungsmuster (privat und beruflich), mit einschränkenden psychosomatischen Beschwerden (was nicht Sprache werden kann, setzt sich im Körper fest) und mit wiederkehrenden Depressionen. Es scheint fatal, wenn auch logisch, dass die aktuellen kommunikationstechnologischen Entwicklungen den Zwang zur Selbstdarstellung und zum Erfolg unterstützen, Letzteren aber oft unmöglich machen und dabei die Entwicklung von Identität und Integrität, Imagination und Symbolisierung unterlaufen.
Beenden beim fabrizierten flexiblen Menschen
    Restrukturierungen oder Fusionen, Veränderungsprozesse in Unternehmen, zunehmende Computerisierung von Arbeitsabläufen, strategische Fokussierungen und ähnliches mehr verunsichern und überfordern viele Mitarbeiter, machen sie müde, überreizt und stimmen zynisch. Vor allem, wenn solche Projekte scheitern und Führungsprobleme evident sind, entstehen bei den Mitarbeitern negative Gefühle. Sie sind gestresst, weil sie fürchten, von den Veränderungen überfordert zu werden oder gar überflüssig zu werden. Ungefragte und unfreiwillige Versetzungen und Abteilungswechsel bewirken, dass man sich ohnmächtig fühlt.
    Die Forderung nach totalem Einsatz und maximaler Flexibilität bei ständiger Unsicherheit strapaziert die meisten Arbeitnehmer. Sennett hat in seinem Buch Der flexible Mensch geschrieben, dass eine

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