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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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ließ ich mich unterbinden (sterilisieren). Drei Jahre später wurde ich nochmals schwanger. Ein medizinisches Wunder, doch für mich war es eine traurige Situation. Ich war glücklich, weil ich schwanger war, aber ich befand mich wiederum in einer unmöglichen Situation. Ich war beruflich »voll durchgestartet« und genoss unsere Schulkinder mit ihrer wachsenden Selbständigkeit. Für meinen Mann war ein viertes Kind undenkbar. Ich fühlte mich allein, verlassen, war traurig, und es war so.
    Ich musste noch einmal den Weg des Schwangerschaftsabbruchs gehen: Gutachten und Eingriff. Ich habe dem ungeborenen Kind für sein kurzes Dasein gedankt, ich habe es um Verzeihung gebeten und mich von ihm verabschiedet. Das habe ich beim ersten Abbruch nicht gemacht. Als ich die Narkose erhielt, dachte ich, dass ich vielleicht gar nicht mehr aufwachen würde. Es ging gut. Doch ich trug noch Jahre danach die Trauer um das ungelebte Leben in mir. Ich weiß immer, wie alt dieses Kind nun wäre. In meinem Erleben habe ich drei lebende und zwei tote Kinder. Alle fünf gehören zu meinem Leben. Das wissen auch meine Kinder. Der zweite Abbruch war einer meiner großen Schmerzensmomente. Ich habe es damals in einer Therapie versucht in Worte zu fassen, um es überhaupt auszuhalten. Das tat gut, und ich konnte nun endlich auch den ersten Abbruch betrauern. Das hatte ich damals nicht gemacht.«
    Jeder Abbruch einer Schwangerschaft wird als einzigartig erlebt. Eine Frau kann verschiedene Abbrüche unterschiedlich erleben. Das Beispiel von Judith zeigt, dass nicht einmal sie das Geheimnis verstanden hat, das sie in die Schwangerschaft geführt hat. Menschen gehen einen Weg, als ob es nurdiesen einen und keinen anderen gäbe. Es gibt nichts zu erklären. Man stößt an ein Mysterium menschlichen Lebens. Bereits die Phantasien können in einem entscheidenden Moment abdriften und ihren eigenen Weg gehen, der gar nicht vorgesehen war. Es gibt in jedem Leben Brüche. Die Seele ist ein Ort des Geschehens, nicht ein Ort des Handelns. Möglicherweise ist es ein Hinweis darauf, dass mehrere Seelen, mehrere Selbste oder Ichs, in einem existieren.
    Heutzutage ist der Abbruch einer Schwangerschaft in unserer Gesellschaft eine freie Entscheidung der Frau bzw. des Paares. Illegale Eingriffe sind seltener geworden, und auch die Stimmen der Sittenwächter haben in unserem Land an Bedeutung verloren. Es ist auch so noch eine meist dramatische Entscheidung. Trauer erfordert ihren Raum. Untersuchungen belegen, dass ein Abbruch psychisch leichter verarbeitet werden kann, wenn weniger äußere Regelungen und Zwänge zur Geltung kommen. Und dass längerfristig die positiven Folgen überwiegen. Ein Abbruch bedeutet, dass die Verantwortung für das eigene Leben übernommen wird.
    Auch Spontanaborte, Totgeburten und die Geburt eines behinderten Kindes erfordern einen Trauerprozess. Eine oder mehrere Fehlgeburten können bei einer Frau, bei einem Paar zu großer Verzweiflung führen. Eine Gemeinde bei Zürich hat denn auch kürzlich eine Grabstätte für totgeborene Kinder eröffnet und damit einen Ort für die Trauer geschaffen. Sterilisation kann in der ganzen Bandbreite von Verstümmelung bis zu Befreiung erlebt werden. Dasselbe betrifft das Beenden des Menstruationszyklus, das Ende der Fruchtbarkeit einer Frau. Es ist eine absehbare und doch oft als schicksalhaft erlebte Gegebenheit, mit der jede älter werdende Frau ihren Umgang zu finden hat. Ich werde nie den Tag vergessen, in dem eine Frau strahlend in meine Praxis kam und erzählte, dass sie jetzt in den Wechseljahren sei und sich darüber freue. Jetzt habe sie es verdient, ihr Leben ruhiger zu nehmen. Und sie dürfe sich von nun an von ihrem Mann und ihren Söhnen ein Stück verwöhnen lassen. Und eine andereFrau hat erzählt, wie sie sich vorstelle, dass ihre Menstruation energetisch, wellenartig in ihrem Körper weiter stattfinde. Das empfinde sie als einen ganz schönen Gedanken.
Ich habe Krebs
    Ich habe diesen unheimlichen Satz in den vergangenen Jahren mehrere Male von jüngeren und älteren Freundinnen und Freunden hören müssen. Und heute sind sie alle tot. Sie haben mir auf eine eindrückliche, je individuelle Weise gezeigt, wie man mit schicksalhaftem, erzwungenem Beenden des Lebens umgehen kann. Ich möchte meine toten Freundinnen und Freunde mit diesen Zeilen ehren und ihnen danken. Ich schreibe nicht von ihrem Krebs und ihrem Sterben, denn ich kann sie nicht mehr fragen, ob sie das schätzen

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