Die Kunst des guten Beendens
der Mitte seiner Lieben herausgerissen worden. Das Leben musste beendet werden.
»Heilt Ihr Körper am besten, wenn Sie angespannt und ängstlich sind und den Krebs wie einen Feind bekämpfen? Oder wenn Sie lieben, was ist, und sich über all die Punkte klar werden, in denen der Krebs Ihr Leben tatsächlich besser gemacht hat, und aus dieser ruhigen Mitte heraus Ihr Möglichstes tun, damit es Ihnen wieder besser geht? Nichts spendet mehr Leben als innerer Frieden.« 44
Ausgrenzung ist ein Gewaltakt
Es gibt heute leider immer mehr Beispiele für erzwungenes, also unfreiwilliges Beenden – aus gesellschaftlichen bzw. ökonomischen Gründen. Es sind dies qualifikations-, leistungs- und betriebsbedingte Entlassungen, Entlassungen aufgrund von Umstrukturierungen, Arbeitslosigkeit, Selbstmord am Arbeitsplatz, Amoklauf, Entlassung nach einem Streik u.a.Es gibt Gründe genug, um oft an der Menschlichkeit der heutigen Gesellschaft und Wirtschaft zu zweifeln.
Der Verlust des Arbeitsplatzes führt gemäß Erfahrung und Untersuchungen zu psychischem Leiden – in Form von Depression, Selbstentwertung, Ohnmacht und Sinnverlust aufgrund der mangelnden Anerkennung als Mensch und Arbeitnehmer. Arbeitslosigkeit kann als ein Gewaltakt bezeichnet werden, der einem Menschen zugefügt wird. Als Untat einer Gesellschaft, die zunehmend entmenschlichende Züge aufweist, weil sie zum Anhängsel eines Marktes im Privatisierungswahn geworden ist. Der Mensch ist Spielball wirtschaftlicher Interessen geworden. Die Autonomiefähigkeit zur Gestaltung des eigenen Lebens ist nicht gewährleistet, wenn Arbeit nicht gewährleistet ist.
Die eigene Autonomie ist eine wichtige Voraussetzung zur Gestaltung von guten intersubjektiven Beziehungsmustern mit anderen Menschen. Engagierte linke Kreise unterstützen denn auch die Forderung nach einem Mindesteinkommen, das die Würde des Menschen wahrt und seine Autonomiefähigkeit (noch nicht die Autonomie) stärkt. Sie kritisieren die heutigen Lebensverhältnisse der in Abhängigkeit lebenden Menschen, die man heute mittellos in eine fremdverschuldete Ausgrenzung schickt. Wie Berechnungen ergeben haben, wäre ein Grundeinkommen in unserer Gesellschaft durchaus finanzierbar. Es geht um die prinzipielle Frage, ob einfach die Marktorientierung dominiert oder ob kollektive Prinzipien der Organisation geschaffen werden, die ein Grundeinkommen garantieren. Es ist eine Systemfrage und keine Frage der Machbarkeit. Und es geht dabei um das Menschenbild des arbeitenden und autonomen Menschen – in deutlicher Distanzierung von der Erwartung des allseits verfügbaren, mobilen Menschen, der immer öfter durch Flexibilisierung ausgegrenzt wird.
Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass unsere heutige Gesellschaft und Wirtschaft viele Menschen psychisch und physisch krank macht. Arbeitslosigkeit ist ein solcherkrankmachender und demütigender Faktor. Das ist mit ein Grund, dass die Nachfrage nach einer Psychotherapie ständig steigt, ohne dass die Menschen gesünder werden.
Eine Psychotherapie ist bei arbeitslosen Menschen meistens sehr eingeschränkt wirksam. Natürlich können sie lernen, mit Demütigung und Ausgrenzung umzugehen. Sie können dazu ermutigt werden, nicht aufzugeben, und sie können gecoacht werden, um eine neue Stelle zu finden. Arbeitslosigkeit und die damit verknüpfte erlebte Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Diskriminierung greifen den Selbstwert massiv an. Oft kommen noch Schuldgefühle und Scham dazu. Patienten und Therapeuten fühlen sich oft ohnmächtig angesichts der ökonomischen Realität.
Dasselbe betrifft Asylbewerber und Flüchtlinge. Internationale Migration macht oft krank. In der Schweiz wurden im Verlaufe des Jahres 2007 die Ausländer- und insbesondere die Asylbewerbergesetze drastisch verschärft. In Psychotherapien mit Asylbewerbern und Flüchtlingen erlebe ich seit Jahren und insbesondere aktuell in dramatischer Weise, wie Menschen zugrunde gehen, wenn sie von einer Gesellschaft ausgestoßen werden.
Ich möchte ein Beispiel einer jungen afrikanischen Frau bringen, das uns alle, ihre Betreuer, seit Jahren hilflos, ohnmächtig und wütend macht.
Liberty (was auf deutsch Freiheit heißt) ist heute 23 Jahre alt und wurde vor vier Jahren durch ein Hilfswerk eines afrikanischen Landes in die Schweiz gebracht. Sie hat in Afrika nur drei Jahre Schule absolviert, musste dann – als Vollwaise nach einem Busunfall der Eltern – auf der Farm eines Onkels hart arbeiten. Durch die Flucht,
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