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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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verloren hättest. Dann wollte Silvio Manuel dich erschrecken, indem er dir die Verbündeten zeigte und sie beschwor, sich auf dich zu stürzen. Er und der Nagual hatten vorgehabt, dir schrittweise zu Hilfe zu kommen. Das ist die Regel. Aber irgend etwas ging schief, und im selben Augenblick, als du dort hineinkamst, wurdest du verrückt. Du warst noch keinen Zentimeter weit gegangen, und schon lagst du im Sterben. Du warst zu Tode erschrocken und hattest noch nicht einmal die Verbündeten gesehen.
    Silvio Manuel sagte mir, daß er nicht wußte, was er nun machen sollte, darum sagte er dir etwas ins Ohr, was er dir zuallerletzt hätte sagen sollen, nämlich daß du nachgeben, kapitulieren solltest, ohne zu kapitulieren. Auf einmal wurdest du ganz von selbst ruhig. Und sie brauchten nichts mehr von all dem zu tun, was sie geplant hatten. Der Nagual und Silvio Manuel konnten nichts anderes tun, als uns wieder hinauszubringen.«
    Als ich mich in dieser Welt wiederfand, so erzählte ich la Gorda, hatte jemand neben mir gestanden, der mir aufstehen half. Das war alles, woran ich mich erinnern konnte.
    »Wir waren in Silvio Manuels Haus«, sagte sie. »Ich kann mich inzwischen an vieles erinnern, was mit diesem Haus zusammenhängt. Irgend jemand, ich weiß nicht wer, erzählte mir, daß Silvio Manuel dieses Haus fand und es kaufte, weil es auf einem Platz der Kraft erbaut war. Ein anderer meinte aber, daß Silvio Manuel das Haus fand, daß es ihm gefiel und er es kaufte und dann erst den Platz der Kraft dorthin brachte. Ich persönlich glaube, daß Silvio Manuel die Kraft mitgebracht hatte. Dies glaube ich, weil seine Makellosigkeit den Platz der Kraft bei diesem Haus festhielt, solange er und seine Gefährten dort lebten.
    Als für sie die Zeit gekommen war fortzugehen, verschwand die Kraft dieses Platzes mit ihnen.
    Und das Haus wurde wieder das, was es gewesen war, bevor Silvio Manuel es gefunden hatte - ein ganz gewöhnliches Haus.«
    Während la Gorda sprach, klärten meine Gedanken sich noch weiter, aber nicht genug, um mir zu enthüllen, was uns in diesem Haus widerfahren war, das mich mit solcher Traurigkeit erfüllt hatte. Ohne zu wissen warum, war ich mir sicher, daß es etwas mit der Nagual-Frau zu tun hatte. Wo war sie?
    La Gorda wußte keine Antwort, als ich sie danach fragte. Es entstand ein langes Schweigen. Sie entschuldigte sich und sagte, sie müsse das Frühstück machen. Es war schon heller Morgen. Sie ließ mich mit einem höchst bedrückten, schweren Herzen allein. Ich rief sie zurück. Sie wurde wütend und warf das Geschirr auf den Fußboden. Ich verstand, warum.
    Ein weiterer Aspekt des Zusammen- Träumens, den wir ein paar Tage später kennerlernten, führte uns tiefer in die komplizierten Beziehungen der zweiten Aufmerksamkeit ein. La Gorda und ich merkten, daß wir ohne jede vorangegangene Bemühung nebeneinander standen. Sie versuchte drei- oder viermal vergeblich, ihren Arm mit meinem zu verschränken. Sie sprach zu mir, aber ihre Rede war unverständlich. Ich wußte aber, daß sie sagte, wir wären wieder in unseren Traumkörpern. Sie ermahnte mich, daß unsere Bewegungen von der Körpermitte ausgehen müßten.
    Wie auch schon bei unserem letzten Versuch zeigte sich uns keine Traum-Szene, die wir hätten untersuchen können. Wie ich es erlebte, befanden wir uns an einem physischen Ort, den ich ein Jahr lang fast jeden Tag beim Träumen gesehen hatte; es war das Tal des Säbelzahntigers.
    Wir gingen ein paar Meter weiter. Diesmal waren unsere Bewegungen nicht ruckhaft oder explosionsartig. Wir gingen tatsächlich aus dem Bauch heraus. Es war keine Anspannung der Muskeln daran beteiligt. Was die Sache schwierig machte, war mein Mangel an Übung; es war wie einst, als ich zum erstenmal Fahrrad fuhr. Ich ermüdete rasch und verlor meinen Rhythmus, ich zögerte und wurde meiner selbst unsicher. Wir blieben stehen. Auch la Gorda war aus dem Gleichtakt.
    Dann begannen wir zu untersuchen, was um uns her zu sehen war. Alles war von unbestreitbarer Tatsächlichkeit, zumindest aus meinem Gesichtswinkel betrachtet. Wir befanden uns in einer zerklüfteten Gegend mit einer merkwürdigen Vegetation. Ich sah seltsame Sträucher. Ich konnte nicht feststellen, welche Arten es waren. Sie sahen wie kleine Bäume aus, fünf bis sechs Fuß hoch. Sie hatten nur wenige Blätter, die flach und dick und von hellgrüner Farbe waren; sie hatten riesige prachtvolle, tiefbraune Blüten, mit goldenen Streifen. Die Stängel

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