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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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hatten.
    In diesen Szenen fiel es ihr gar nicht mehr schwer, ihren Arm mit meinem zu verschränken.
    Dieser Akt gab mir ein irrationales Gefühl der Sicherheit. Dies, so erklärte la Gorda, stille das Verlangen, die äußerste Vereinsamung, zu der die zweite Aufmerksamkeit führt, zu vertreiben.
    Das Verschränken der Arme, so sagte sie, fördere den Geist der Objektivität, und in dieser Stimmung konnten wir die Aktivitäten beobachten, die in jeder dieser Szenen stattfanden.
    Manchmal fühlten wir uns gezwungen, an diesen Aktivitäten teilzunehmen. Bei anderen Malen waren wir durchaus objektiv und beobachteten die Szene, als ob wir im Kino wären.
    Immer wenn wir in unserem Träumen die Sanddünen oder das Territorium des Tigers aufsuchten, waren wir unfähig, unsere Arme zu verschränken. Bei diesen Gelegenheiten waren uns Aktivitäten nie zweimal die gleichen. Unsere Handlungen waren nie im voraus überlegt, sondern schienen spontane Reaktionen auf neue Situationen zu sein.
    La Gorda zufolge ließ der größte Teil unseres Zusammen-Träumens sich in drei Kategorien einordnen. Die erste und bei weitem größte war die Wiederaufführung von Ereignissen, die wir zusammen erlebt hatten. Die zweite war das gemeinsame Wiedersehen mit Ereignissen, die ich allein »erlebt« hatte - das Land des Säbelzahntigers gehörte in diese Kategorie. Die dritte waren Besuche in einem Reich, das so existierte, wie wir es im Augenblick unseres Besuchs sahen. Sie behauptete, daß jene gelben Hügel jetzt und hier vorhanden wären und daß sie für den Krieger, der die Reise zu ihnen antritt, so und nicht anders aussehen und dastehen.
    In einem Punkt versuchte ich ihr zu widersprechen. Sie und ich hatten nämlich geheimnisvollen Umgang mit Leuten gehabt, die wir aus uns unbegreiflichen Gründen vergessen hatten, die wir aber gleichwohl tatsächlich gekannt hatten. Der Säbelzahntiger dagegen war ein Geschöpf meines Träumens. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß beide der gleichen Kategorie angehören sollten.
    Noch bevor ich Zeit fand, meine Gedanken vorzubringen, vernahm ich ihre Antwort. Es war, als ob sie wirklich in meinen Gedanken steckte und sie wie einen Text lesen konnte.
    »Sie gehören zur gleichen Gattung«, sagte sie und lachte nervös. »Wir können nicht erklären, warum wir vergessen haben, oder wieso wir uns jetzt erinnern. Wir können gar nichts erklären.
    Der Säbelzahntiger ist da, irgendwo. Wo, das werden wir niemals wissen. Aber darum sollten wir uns wegen eines konstruierten Widerspruchs Sorgen machen? Ob man sagt, daß dies ein Faktum und jenes ein Traum sei, hat für das andere Selbst keinerlei Bedeutung.
    La Gorda und ich benutzten das Träumen als Weg, um eine unvorstellbare Welt verborgener Erinnerungen zu erreichen. Das Träumen befähigte uns zur Erinnerung an Ereignisse, die wir durch die Mittel unseres Alltagsgedächtnisses nicht hätten erinnern können. Wenn wir diese Ereignisse im Wachzustand noch einmal durchgingen, konnten wir noch detailliertere Erinnerungen wachrufen. Auf diese Weise gruben wir sozusagen Massen von Erinnerungen aus, die in uns begraben lagen. Wir brauchten beinahe zwei Jahre tüchtiger Anstrengung und Konzentration, um wenigstens ein bruchstückhaftes Verständnis dessen zu erreichen, was mit uns geschehen war.
    Don Juan hatte uns gesagt, daß die Menschen zweigeteilt sind. Die rechte Seite, die er das Tonal nannte, umfasst alles, was der Intellekt sich vorstellen kann. Die linke Seite, das Nagual genannt, ist ein Reich unbeschreiblicher Gebilde: ein Reich, das mit Worten nicht zu erfassen ist. Vielleicht läßt sich die linke Seite mit dem gesamten Körper verstehen, falls es denn ein Verstehen ist, was dabei vor sich geht; daher widersetzt sie sich auch der begrifflichen Erfassung.
    Don Juan hatte uns auch gesagt, daß alle Fähigkeiten, Möglichkeiten und Errungenschaften der Zauberei, von der einfachsten bis zur unglaublichsten, im menschlichen Körper selbst beschlossen liegen.
    Ausgehend von den Vorstellungen, daß wir zweigeteilt sind und daß alles im Körper selbst beschlossen ist, schlug la Gorda eine Erklärung für unsere Erinnerungen vor. Sie glaubte nämlich, daß unsere Zeit in den Jahren unserer Verbindung mit dem Nagual Juan Matus eingeteilt gewesen sei zwischen Zuständen normaler Bewußtheit auf der rechten Seite, dem Tonal, wo die erste Aufmerksamkeit vorherrscht, und Zuständen der erhöhten Bewußtheit auf der linken Seite, dem Nagual, oder dem Sitz der

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