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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Silvio Manuel zu mir - was er selten tat. Er sagte, daß die Energie, die ich brauchte, um meine Angst zu akzeptieren, in meiner Körpermitte liege und daß es die einzige Möglichkeit zum Gelingen wäre, wenn ich mich dreinschickte, wenn ich kapitulierte, ohne zu kapitulieren.
    Die Nagual-Frau und la Gorda waren ganz ruhig. Ich war der einzige, der dort sterben mußte.
    Silvio Manuel sagte, so wie ich meine Energie vergeude, stünde mein Ende unmittelbar bevor, und ich solle mich bereits als tot betrachten. Don Juan bedeutete der Nagual-Frau und la Gorda, ihm zu folgen. Sie wandten sich von mir ab. Was sie dann noch taten, sah ich nicht mehr. Ich spürte in mir ein mächtiges Beben. Ich stellte mir vor, daß es mein Todeszittern wäre und daß mein Kampf zu Ende sei. Es machte mir nichts mehr aus. Ich überließ mich der unüberwindlichen Angst, die mich tötete. Mein Körper, oder das Gebilde, das ich als meinen Körper betrachtete - was immer es sein mochte -, entspannte sich und überließ sich seinem Tod. Als ich die Angst in mich hereinkommen oder vielleicht auch aus mir hinausgehen ließ, spürte und sah ich, wie etwas mich verließ. Es war ein feiner Dunst, eine weißliche Schwade vor dem Schwefelgelb der Umgebung.
    Don Juan kam zu mir zurück und musterte mich neugierig. Silvio Manuel wandte sich ab und packte wieder la Gorda am Genick Ich sah ganz deutlich, daß er sie wie eine riesige Stoffpuppe in die Nebelbank schleuderte. Dann trat er selbst hinein und verschwand.
    Die Nagual-Frau forderte mich durch ein Zeichen auf, zu ihr in den Nebel zu kommen. Ich bewegte mich zu ihr hin, aber noch bevor ich sie erreichte, gab Don Juan mir einen kräftigen Stoß, der mich durch den dichten gelben Nebel schleuderte. Ich stolperte vorwärts, aber nicht auf meinen Füßen, vielmehr glitt ich hindurch und landete schließlich kopfüber am Boden - in dieser Welt.
    La Gorda erinnerte sich an den ganzen Vorgang, wie ich ihn ihr erzählte. Sie konnte noch weitere Einzelheiten beisteuern.
    »Die Nagual-Frau und ich hatten keine Angst um dein Leben«, sagte sie. »Der Nagual hatte uns gesagt, daß du gezwungen werden müßtest, deine Sicherheit aufzugeben, daß aber dies nichts Besonderes sei. Denn jeder männliche Krieger muß durch die Angst bezwungen werden.
    Silvio Manuel hatte mich schon dreimal hinter diese Wand geführt, damit ich lernte, mich zu entspannen. Er sagte, wenn u mich so unbekümmert sähest, würde es eine Wirkung auf dich haben, und das tat es auch. Du gabst nach und entspanntest dich. «
    »Ist es auch dir so schwergefallen, zu lernen dich zu entspannen?« fragte ich.
    »Nein. Für eine Frau ist es eine Kleinigkeit«, sagte sie. »Das ist unser Vorteil. Die einzige Schwierigkeit ist, daß wir dorthin getragen werden müssen. Wir können es nicht aus eigener Kraft.« »Warum nicht, Gorda?« fragte ich.
    »Man muß sehr schwer sein, um da hindurchzugehen, und eine Frau ist leicht«, sagte sie.
    »Tatsächlich zu leicht.«
    »Wie war es mit der Nagual-Frau? Ich sah nicht, daß irgendwer sie getragen hätte«, sagte ich.
    »Mit der Nagual-Frau war es etwas Besonderes«, sagte la Gorda. »Sie konnte alles aus eigener Kraft tun. Sie konnte mich dort hineinbringen, oder auch dich. Sie konnte sogar diese wüste Ebene überqueren - etwas, das, wie der Nagual sagte, ein zwingendes Gebot für alle Reisenden ist, die in das Unbekannte reisen. «
    »Warum ging die Nagual-Frau mit mir dort hinein?« fragte ich.
    » Silvio Manuel nahm uns mit, um dich zu stützen«, sagte sie. »Er meinte, du müßtest von zwei Frauen und zwei Männern beschützt werden, die dich flankierten. Silvio Manuel dachte, du müßtest vor den Wesen beschützt werden, die dort drinnen herumstreifen und lauern. Die Verbündeten kommen aus dieser wüsten Ebene, und auch andere, noch wildere Dinge.«
    »Wurdest du auch beschützt?« fragte ich.
    »Ich brauchte keinen Schutz«, sagte sie. »Ich bin eine Frau. Ich bin frei von alledem. Aber wir alle glaubten, daß du in einem schlimmen Dilemma stecktest. Du warst der Nagual, aber ein sehr dummer. Wir dachten, daß einer dieser wilden Verbündeten - oder Dämonen, falls du sie so nennen willst -dich zerschmettern oder zerreißen könnte. Das jedenfalls sagte Silvio Manuel.
    Er nahm uns mit, damit wir deine vier Ecken flankierten. Aber der Witz an der Sache war, daß weder der Nagual noch Silvio Manuel wußten, daß du uns gar nicht brauchtest. Wir sollten eine ganze Weile gehen, bis du deine Energie

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