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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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einen Menschen verriet, der von Furcht und Sorge gepackt ist. Seine Gebärden zeigten ihn mir als guten Schauspieler, der Nervosität und Besorgnis perfekt darzustellen weiß.
    Mit einem Seitenblick zu mir eröffnete mir Don Juan - ganz im Ton, als habe er eine schmerzliche Offenbarung zu machen -, daß zum Beispiel der Nagual Lujan vom Mieter gar fünfzig Positionen des Montagepunktes zum Geschenk erhalten habe. Don Juan schüttelte den Kopf, als gäbe er mir wortlos zu bedenken, was er eben gesagt hatte. Ich blieb stumm.
    »Fünfzig Positionen!« rief er staunend aus. »Als Geschenk sollten ein oder zwei Positionen des Montagepunktes vollauf genügen.«
    Er zuckte die Schultern und deutete Bestürzung an. »Ich habe gehört, daß der Mieter den Nagual Lujan sehr gern mochte«, fuhr er fort. »Sie schlossen so enge Freundschaft, daß sie praktisch unzertrennlich waren. Ich habe auch gehört, daß der Mieter und der Nagual Lujan jeden Morgen zur Frühmesse in die Kirche dort drüben gingen.«
    »Hier, in dieser Stadt?« fragte ich, völlig überrascht.
    »Genau hier«, erwiderte er. »Womöglich saßen sie vor hundert Jahren genau an dieser Stelle, auf einer anderen Bank.«
    »Der Nagual Lujan und der Mieter - sind sie wirklich hier herumgelaufen?« fragte ich noch einmal, unfähig, meine Überraschung zu verwinden.
    »Darauf kannst du wetten!« rief er.
    »Ich brachte dich heute abend hierher, weil das Gedicht, das du mir vorgelesen hast, mir ein Zeichen gab, daß es Zeit für dich ist. dem Mieter zu begegnen.« Panik befiel mich mit der Macht eines Waldbrandes. Ich musste sogar eine Weile durch den Mund atmen.
    »Über die sonderbaren Errungenschaften der Zauberer der Vorzeit haben wir schon gesprochen«, fuhr Don Juan fort. »Aber es ist immer schwierig, ausschließlich in Idealbildern zu sprechen, ohne Kenntnis aus erster Hand. Und bis zum jüngsten Tag könnte ich dir etwas wiederholen, das mir glasklar ist. das du aber weder begreifen noch glauben kannst, weil du keinerlei praktische Kenntnis davon hast.«
    Er stand auf und musterte mich von Kopf bis Fuß. »Komm, gehen wir zur Kirche«, sagte er.
    »Der Mieter liebt die Kirche und ihre Umgebung. Ich bin sicher, dies ist der richtige Moment, um hinzugehen.«
    Nur wenige Male im Lauf meiner Verbindung mit Don Juan hatte ich so bange Ahnungen gehabt. Ich war wie betäubt vor Angst. Als ich aufstand, zitterte ich am ganzen Leib. Mein Magen war ein steinharter Knoten, und doch folgte ich ihm wortlos, als er ach auf den Weg zur Kirche machte - meine Knie schlotternd und bei jedem Schritt unwillkürlich einknickend. Bis wir die kurze Straße von der Plaza zur Steintreppe vor dem Kirchenportal zurückgelegt hatten, war ich einer Ohnmacht nahe. Don Juan legte nur den Arm um die Schulter und stützte mich. »Da ist der Mieter«, sagte er so beiläufig, als habe er nur einen alten Freund entdeckt.
    Ich blickte in die Richtung, die er gezeigt hatte, und sah eine Gruppe von fünf Frauen und drei Männern auf der gegenüberliegenden Seite des Portikus. Mein rascher, ängstlicher Blick registrierte nichts ungewöhnliches an diesen Leuten. Ich konnte nicht einmal feststellen, ob sie in die Kirche gingen oder herauskamen. Ich merkte allerdings, daß sie nur zufällig hier beisammen standen. Sie gehörten nicht zusammen.
    Bis Don Juan und ich die kleine, in das massive, hölzerne Portal der Kirche eingelassene Tür erreicht hatten, waren drei der Frauen in die Kirche eingetreten. Die drei Männer und die zwei anderen Frauen gingen fort. Einen Augenblick war ich verwirrt und sah Don Juan fragend an. Er deutete mit einer Kopfbewegung nach dem Weihwasserbecken.
    »Wir müssen die Regeln befolgen und uns bekreuzigen«, flüsterte er.
    »Wo ist der Mieter?« fragte ich, ebenfalls flüsternd. Don Juan tauchte die Fingerspitzen ins Becken und schlug das Kreuzzeichen. Mit einer gebieterischen Kopfbewegung drängte er mich, es ihm gleichzutun.
    »War der Mieter einer der drei Männer, die gegangen sind?« flüsterte ich ihm ins Ohr.
    »Nein«, flüsterte er zurück. »Der Mieter ist eine der drei Frauen, die geblieben sind. Sie kniet dort, in der hinteren Reihe.« In diesem Moment drehte eine Frau in der hinteren Reihe sich nach mir um, lächelte und nickte. Mit einem Satz war ich an der Tür - und draußen. Don Juan lief hinter mir her. Mit unglaublicher Behendigkeit holte er mich ein und packte mich am Arm. »Wohin läufst du?« fragte er. sein Gesicht und sein ganzer Körper vor

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