Die Kunst des Träumens
alten Mexiko«, sagte Don Juan, während er sich auf die Bank setzte und mich mit einer Gebärde einlud, neben ihm Platz zu nehmen. Mit einer Leidenschaft, als habe er nie zuvor davon gesprochen, begann er abermals zu erzählen, was er mir so oft gesagt hatte - nämlich, daß jene Zauberer, geleitet von sehr selbstsüchtigen Interessen, all ihr Bemühen in die Vervollkommnung von Praktiken legten, die sie immer weiter von nüchternem Denken oder geistiger Balance entfernten, bis sie schließlich ausgelöscht wurden, als ihre komplizierten Glaubensgebäude und Praktiken so hinderlich geworden waren, daß sie diese nicht weiterführen konnten.
»Die Zauberer der Vorzeit lebten und webten natürlich hier in dieser Gegend«, sagte er und beobachtete meine Reaktion. »Hier in dieser Stadt. Diese Stadt ist wirklich auf den Fundamenten einer ihrer Städte erbaut. Hier in dieser Gegend betrieben die Zauberer der Vorzeit alle ihre Geschäfte.«
»Woher weißt du das so sicher. Don Juan?«
»Ich weiß es, und auch du wirst es bald wissen.« Meine zunehmende Angst zwang mich, etwas zu tun. was ich nicht gern tat: mich auf mich selbst konzentrieren. Don Juan, der meine Frustration spürte, stachelte mich weiter an. »Sehr bald werden wir wissen, ob du wirklich den alten Zauberern ähnlich bist, oder doch den neuen«, sagte er. »Du machst mich verrückt mit all diesen düsteren, seltsamen Andeutungen«, protestierte ich.
Meine dreizehnjährige Verbindung mit Don Juan hatte mich vor allem daran gewöhnt, mit einer Panik zu leben, die ständig lauerte und jederzeit losgelassen werden konnte.
Don Juan schien zu zaudern. Ich bemerkte seine verstohlenen Blicke in Richtung der Kirche. Er war sogar ein wenig zerstreut. Als ich ihn ansprach, hörte er nicht zu. Ich musste meine Frage wiederholen. »Erwartest du jemanden?«
»Ja«, sagte er. »Ja. ganz gewiß. Ich habe eben die Umgebung gefühlt. Du hast mich beim Überprüfen der Gegend mit meinem Energiekörper überrascht.«
»Was hast du gefühlt, Don Juan?«
»Mein Energiekörper fühlte, daß alles in Ordnung ist. Heute abends geht der Vorhang auf. Du bist ein Hauptdarsteller. Ich bin eine Charakter-Charge mit einer kleinen, aber wichtigen Rolle. Im ersten Akt gehe ich ab.«
»Was, um Himmels willen, sprichst du da?« Er antwortete mir nicht. Er lächelte nur wissend. »Ich bereite die Bühne vor«, sagte er. »Um dich sozusagen auf die Idee einzustimmen, daß die modernen Zauberer eine harte Lektion zu lernen haben. Sie haben erkannt, daß sie nur dann, wenn sie völlig losgelöst bleiben, genügend Energie aufbringen können, um frei zu sein. Ihr Geschick ist eine besondere Losgelöstheit, nicht aus Angst oder Trägheit geboren, sondern aus Überzeugung.« Don Juan hielt inne und stand auf, er streckte die Arme nach vorne, zur Seite und dann nach hinten. »Mach es genauso«, empfahl er mir. »Es entspannt den Körper, und du mußt sehr entspannt sein, und gefaßt auf das. was dir heute abends bevorsteht.« Er grinste breit. »Heute abends steht dir entweder völlige Loslösung oder totales Sichgehenlassen bevor. Es ist eine Wahl, die jeder Nagual meiner Linie einmal treffen muß.« Er setzte sich wieder und holte tief Luft. Was er gesagt hatte, schien all seine Energie aufgebraucht zu haben.
»Ich glaube, ich kann Losgelöstheit und Sichgehenlassen ganz gut unterscheiden«, fuhr er fort, »weil ich das Vorrecht hatte, zwei Naguals zu kennen: meinen Wohltäter, den Nagual Julian, und dessen Wohltäter, den Nagual Elias. Ich habe den Unterschied zwischen den beiden gesehen. Der Nagual Elias war in einem Maße losgelöst, daß er ein Geschenk der Kraft ausschlagen konnte. Der Nagual Julian war ebenfalls losgelöst, aber nicht genug, um solch ein Geschenk abzulehnen.«
»Nach der Art, wie du sprichst«, sagte ich. »muß ich annehmen, daß du mich heute abend auf die Probe stellen willst, irgendwie. Ist das wahr?«
»Ich habe nicht die Macht, dich auf irgendwelche Proben zu stellen, aber der Geist wird es tun.« Dies sagte er grinsend, und dann fuhr er fort: »Ich bin nur sein Handlanger.«
»Was wird der Geist mit mir machen. Don Juan?«
»Ich kann nur sagen, du wirst heute nacht eine Lektion im Träumen bekommen, in der Art. wie Traumlektionen einmal waren, aber du wirst diese Lektion nicht von mir bekommen. Jemand anders wird heute nacht dein Lehrer und Führer sein.«
»Wer wird mein Lehrer und Führer sein?«
»Ein Besucher, der eine gewaltige Überraschung für
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