Die Kunst des Träumens
Bewußtseins in eine andere Welt geschleudert zu werden.
»Der Fehlschlag eurer Reise war, daß ihr keine Zeit hattet. Bewußtheit als Element der Fortbewegung zu nutzen«, fuhr er fort. »Noch bevor ihr in die Welt der anorganischen Wesen gelangtet, wart ihr bereits in einer anderen Welt.«
»Was empfiehlst du uns nun'.'« fragte Carol.
»Ich empfehle euch, einander möglichst selten zu sehen«, sagte er.
»Ich bin mir sicher, die anorganischen Wesen werden sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, euch beide auf einen Schlag zu entführen - besonders, wenn ihr eure Kräfte vereinigt.«
Und darum blieben Carol und ich uns seit damals geflissentlich fern. Die Aussicht, wir könnten unverhofft eine ähnliche Reise erleben, war für uns ein zu großes Risiko. Don Juan bestätigte uns unserer Entscheidung. Gemeinsam hätten wir genügend Energie, sagte er, um die anorganischen Wesen in Versuchung zu führen, auf daß sie uns jederzeit wieder köderten. Don Juan hielt mich wieder dazu an, bei meinen Traumübungen Energie in Energie erzeugenden, traumverwandten Zuständen zu sehen. Im Lauf der Zeit sah ich alles, was sich mir darbot. Auf diese Weise geriet ich in eine höchst eigenartige Verfassung. Ich war nicht mehr fähig, zusammenhängend zu beschreiben, was ich da sah. Und immer hatte ich das Gefühl, daß ich Zustände der Wahrnehmung erreichte, für die ich keine Worte mehr hatte. Meine unbegreiflichen und unbeschreiblichen Visionen erklärte Don Juan damit, daß mein Energiekörper nun Bewußtheit als Element zu nutzen wisse - nicht zur Fortbewegung, denn dazu hätte ich nicht genug Energie, sondern zum Eintritt in die Energiefelder von unbelebter Materie oder von anderen Lebewesen.
11. Der Mieter
Es sollte keine Traumübungen mehr für mich geben, wie ich sie gewöhnt gewesen war. Das nächste Mal, als ich Don Juan sah. unterstellte er mich der Führung zweier Frauen seiner Gruppe: Florinda und Zuleica, seine zwei nächsten Gefährtinnen. Deren Unterweisungen handelten mitnichten von den Pforten des Träumens, sondern von den verschiedenen Arten, den Traumkörper einzusetzen; und all dies dauerte nicht lange genug, um einen Eindruck bei mir zu hinterlassen. Die beiden Frauen schienen mir eher daran interessiert, mich zu prüfen, als mich etwas zu lehren. »Es gibt nichts mehr, was ich dich über das Träumen lehren könnte«, sagte Don Juan, als ich ihn zu diesem Stand der Dinge befragte. »Meine Zeit auf Erden ist abgelaufen. Aber Florinda wird bleiben. Sie wird die Führung übernehmen, nicht nur über dich, sondern über all meine anderen Schüler.«
»Wird sie meine Traumübungen fortsetzen?«
»Das weiß ich nicht, und sie weiß es auch nicht. Es hängt alles vom Geist ab, dem wahren Spieler. Wir selbst sind keine Spieler. Wir sind nur Figuren in seiner Hand. Den Befehlen des Geistes gehorchend, muß ich dir nun sagen, was die vierte Pforte des Träumens ist, auch wenn ich dich nicht mehr dorthin führen kann.«
»Welchen Sinn hätte es, mich neugierig zu machen? Ich möchte es lieber nicht wissen.«
»Dies stellt der Geist nicht dir oder mir anheim. Ich muß dir die vierte Pforte des Träumens zeigen, ob es mir gefällt oder nicht.«
Und Don Juan erklärte, daß der Energiekörper an der vierten Traumpforte zu ganz spezifischen, konkreten Orten reisen kann - und daß es drei Arten gibt, die vierte Pforte zu nutzen: erstens, um zu konkreten Orten in dieser Welt zu reisen; zweitens, um zu konkreten Orten außerhalb dieser Welt zu reisen; und drittens, um zu Orten zu reisen, die nur in der Absicht anderer existieren. Die letztere Art. sagte er. sei die schwierigste und gefährlichste von allen dreien; sie sei bei weitem die Vorliebe der alten Zauberer gewesen.
»Was soll ich mit diesem Wissen anfangen?« fragte ich. »Im Augenblick - nichts. Hefte es ab, bis du es brauchst.«
»Glaubst du, ich kann die vierte Pforte allein durchschreiten, ohne Hilfe?«
»Ob du es kannst oder nicht, liegt ganz beim Geist.« Er ließ das Thema abrupt fallen, aber er gab mir nicht das Gefühl, als sollte ich versuchen, die vierte Pforte allein zu erreichen und zu durchschreiten.
Dann traf Don Juan eine letzte Verabredung mit mir - um mir, wie er sagte, ein letztes Lebewohl der Zauberer zu entbieten: den krönenden Abschluß meiner Traumübungen. Zu diesem Zweck, sagte er, solle ich ihn in einer kleinen Stadt im Süden Mexikos aufsuchen, wo er und seine Zauberer-Gefährten lebten. Am Spätnachmittag traf ich dort
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