Die Kunst engagierter Gelassenheit
ihr Feuer lebendig, lichterloh und ungehemmt wegen ihrer Unerschrockenheit und Angstfreiheit dem eigenen Tod gegenüber.
Verzehrende Leidenschaft
Feuer ist nicht nur schön, nicht nur wärmend und lichtspendend. Feuer besitzt eine hohe Zerstörungskraft. Die christliche Theologie hat den Menschen während Jahrhunderten Angst eingejagt mit der Lehre vom Fegefeuer, in dem wir nach dem Tod geläutert werden, sowie dem Höllenfeuer, in dem die Bösen für alle Zeiten schmoren sollen. Als ich letzthin ein Seminar für ein Arbeitsteam hielt, meinte eine junge Frau: »Bei uns brennt es!« Sie meinte damit, dass große Spannungen und Konflikte im Team existierten. Folglich war sie etwas erstaunt, als ich ihr sagte, dass ich mich über dieses Brennen freuen
würde. Selbstverständlich wünsche ich keiner Familie und keinem Arbeitsteam, dass das Feuer zwischen ihnen so brennt, dass es zerstörerisch wirkt auf die Liebe oder den Respekt füreinander. Dass aber zwischendurch falsche Friedhöflichkeit und vorschnelle Harmoniebestrebungen im Zusammenleben und in der Zusammenarbeit aufbrechen, ist heilsam.
Feuer und Leidenschaft sind nicht nur schön und angenehm. Die Leidenschaft wird immer dann gefährlich, wenn sie absolut gesetzt wird und autoritär, blind, obsessiv und ideologisch wird. Inquisition oder Nationalsozialismus sind nur zwei Begriffe für diese Perversion von Leidenschaft. Leidenschaft und inneres Feuer müssen sich mit Gelassenheit paaren, wenn sie große Ziele und visionäre Projekte erreichen wollen und uns nicht als eigendynamischer Zwang verschlingen sollen. Leidenschaft und Gelassenheit, Begierde und Seelenruhe vertragen sich nicht immer harmonisch und synergetisch. Sie sind eher wie Geschwister – mit all den typischen Geschwisterkonflikten.
■ Wofür brennt mein Herz und glimmt nicht nur?
■ Was braucht mein inneres Feuer, um weder nur zu glimmen noch auszubrennen?
■ Wie viel Feuer habe ich? Glut, Funke, loderndes Feuer?
■ Springen Funken auf andere über?
Klare Ziele und offene Wege
Tue das Gute vor dich hin
und bekümmere dich nicht,
was daraus werden wird.
Matthias Claudius (Dichter, 1740 – 1815)
Ich komm’, ich weiß nicht woher,
ich bin, ich weiß nicht wer,
ich tu’ und weiß nicht, was ich kann,
ich sterb’, ich weiß nicht wann,
ich geh’, ich weiß nicht wohin,
mich wundert’s, dass ich so glücklich bin.
Heinrich von Kleist (Dramatiker und Lyriker, 1777—1811)
Das ist mein Weg, welches ist dein Weg?
DEN Weg gibt es nicht.
Viele verfolgen hartnäckig den Weg,
den sie gewählt haben,
aber nur wenige das Ziel.
Friedrich Nietzsche (Philosoph und Dichter, 1844 – 1900)
Wie sich engagierte Gelassenheit konkret äußern kann, formulierte der Musikkritiker Peter Hagmann von der Neuen Zürcher Zeitung treffend in einem Artikel über das Konzert vom 19. August 2007 im Luzerner Kulturzentrum. Ergriffen beschrieb er, wie der damals 74-jährige Claudio Abbado die 3. Sinfonie von Gustav Mahler mit dem selbst zusammen gestellten Lucerne Festival Orchestra dirigierte:
»Dazu kommt schließlich die Gelassenheit Claudio Abbados. Nicht dass er sich zurücklehnte oder gar desengagiert wirkte, seine innere Energie und seine Aura sind vielmehr ungebrochen. Aber jede Form des Erzwingens, jede Art Druck oder Anspannung sind ihm fremd; und weil er sich unter Könnern und Freunden aufgehoben fühlt, ergibt sich gegenseitiges Vertrauen und entsteht die Musik gleichsam von selbst. Das Ziel steht fest und wird von allen Beteiligten getragen; auf dem Weg dazu, so macht es den Anschein, herrscht ein hohes Maß an Selbstverantwortung, fördert der Dirigent das Potenzial des Einzelnen, sei er alt und erfahren oder jung und lernbegierig, um es im Kollektiv fruchtbar werden zu lassen – ein Beispiel für gelungene Menschenführung in einem hochspezialisierten Umfeld. Und ungefähr das Gegenteil dessen, was man sich landläufig unter dem Wirken eines Dirigenten vorstellt. Denn gerade nicht um Selbstverwirklichung auf einen Schlag geht es hier; im Vordergrund steht vielmehr die Erfahrung, dass gerade dort, wo Raum gelassen wird, das Besondere entsteht.«
[Ref 7]
Das Wesen der engagierten Gelassenheit wird in dieser Konzertkritik wunderbar beschrieben als ein zielstrebiges und leidenschaftliches Wirken, das gleichzeitig bezüglich der Wege und des Vorgehens maximale Offenheit und Freiheit zulässt und sich mit den eigenen fixen Vorstellungen zurücknimmt. Engagierte Gelassenheit zeigt sich dort, wo
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