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Die Kunst engagierter Gelassenheit

Die Kunst engagierter Gelassenheit

Titel: Die Kunst engagierter Gelassenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Niederberger
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zu arbeiten.« (Frau, 52 Jahre)
    »Brennen tue ich in meiner Rolle als Mutter, vor allem wenn ich meinen Kindern helfen kann, stark zu sein.« (Frau, 38 Jahre)
    Wer oder was ist dieses geheimnisvolle Feuer? Wie können wir die Kraft benennen, die uns zum Geigespielen antreibt und zum Medizinstudium anfeuert? Und woher kommt dieses innere Feuer? Ist es göttlicher Natur oder etwas Vererbtes? Können wir das innere Feuer mit einer speziellen Technik entfachen wie die Neandertaler im Film? Wieso ist dieses Feuer manchmal besonders zu spüren und zerreißt uns beinahe? Und warum scheint es über längere Phasen hinweg wie erloschen und nur schwach zu glimmen? Wieso können wir uns für eine gewisse Sportart fast fanatisch begeistern und warum können Mathematiker oder Komponistinnen, Dichter oder Entwicklungshelferinnen jahrelang mit grenzenloser Leidenschaft, Herzblut und Hingabe sich einer einzigen Sache oder Idee widmen, ohne dass das lodernde Feuer auszubrennen droht? Was macht es, dass wir täglich Hunderten von Menschen begegnen und plötzlich Herz und Leib vibrieren, wenn uns ein ganz bestimmter Mensch über den Weg läuft? Warum engagieren wir uns beispielsweise nicht für die Rechte der Kinder in den Kupferminen und Kakaoplantagen, setzen aber viel Herzblut, Zeit und Geld für das Fotografieren von Gewitterblitzen und Sammeln von Briefmarken ein?
    Wenn ich in Biografien radikal engagierter Menschen wie Mahatma Gandhi oder Mutter Teresa, Albert Schweitzer oder
Marie Curie, Leonard Bernstein oder Karlheinz Böhm, Daniel Berrigan oder Reinhold Messner, Dag Hammarskjöld oder Jane Fonda nach den Gründen ihrer mutigen und leidenschaftlichen Hingabe suche, steht am Anfang meistens entweder eine sehr starke positive Anziehung und Faszination oder das pure Gegenteil: Skandalisierung, Empörung und Protest. Natürlich ist uns Anziehung und Faszination lieber als Empörung und Abstoßung. Doch letztlich kommt es nicht darauf an, was das Feuer entfacht, das uns zum Engagement treibt, sondern dass wir überhaupt an einem bestimmten Punkt im Leben Feuer fangen. Der Philosoph und Schriftsteller Albert Camus (1913 – 1960) schrieb in Anlehnung an Descartes cogito ergo sum: »Ich empöre mich, also bin ich.« Neben Anziehung und Empörung gibt es eine Reihe weiterer Gründe, die in uns inneres Feuer als Auslöser für ein Engagement bewirken. Nicht selten löst eine Reise in die Dritte Welt, ein Praktikum bei sozialen Randgruppen, ein Schicksal in der Familie, eine ökologische Tragödie oder eine spirituelle Erfahrung inneres Feuer aus, das zu konkretem Engagement führt:
    »Der Grund für mein Engagement ist das Interesse für Menschen und überhaupt für die Welt und die Geschichte. Oft bringen mich soziale Missstände auf die Palme und in der Folge zu einem Engagement. « (Mann, 57 Jahre)
    »Ein inneres Feuer spüre ich, seit ich 15 Jahre alt bin und angefangen habe, für die Lokalzeitung zu schreiben. Woher dieses Feuer kommt, weiß ich allerdings nicht, es ist einfach eine Leidenschaft.« (Chefredaktor, 36 Jahre)
    »Auslöser der Gründung eines Care-Teams war meine Erfahrung
im Rettungsdienst, wo immer wieder Seelsorger und Psychologen in den ersten Augenblicken am Unfallort fehlten und wo Rettungskräfte menschlich an Grenzen gelangten.« (Frau, 52 Jahre)
    »Viele Gründe führten zu meinem Friedens-Engagement bei gewaltsamen Jugendlichen: Gerechtigkeitssinn, Freude an der Arbeit, das Privileg von Bildung, Ressourcen, Vernetzung und Wissen, die Werte meiner Eltern, die kritische Betrachtung dank Auseinandersetzung mit verschiedenen politischen Theorien, die Familiengeschichte [Sohn von Flüchtlingen], meine Gesundheit sowie die Minderheit-Situation als Jude.« (Mann, 52 Jahre)
    Viele Menschen spüren zwar zutiefst, dass sie mehr aus ihrem Leben machen möchten. Sie spüren dies als innere Sehnsucht, ethische Pflicht oder bürgerliche Notwendigkeit. Gleichzeitig können sie aber nicht genau sagen, wofür sie konkret brennen und sich engagieren wollen, sollen oder könnten. So wie es den »Mann ohne Eigenschaften« in Robert Musils Hauptwerk gibt, begegne ich in der Beratung und in Kursen oft Frauen, Männern und Jugendlichen ohne spezielle Leidenschaften. Viele wissen und spüren nicht, wofür ihr Herz brennt, sie interessieren sich für nichts speziell, erwärmen und erhitzen sich für keine besonderen Themen und Fragen. Sie würden aber gern für etwas oder jemanden brennen und entdecken, welches ihre wesentliche

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