Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
erteilte der Übernahme eine rechtlich mögliche Ministererlaubnis, und zwar aus »Gründen des überragenden Interesses der Allgemeinheit«. Sein Staatssekretär Alfred Tacke focht die Sache des Ministers bis zum für den Gas-Kunden bitteren Ende durch. Die Gaspreise stiegen in der Folgezeit bekannterweise stark an, vermutlich »im überragenden Interesse der Allgemeinheit«. Tackes Entlohnung ließ nicht lange auf sich warten. Er wurde 2004 Vorstandsvorsitzender des Stromversorgungsunternehmens STEAG, einer hundertprozentigen Tochter der Ruhrkohle AG. Deren Vorstandschef
war seit 2003 der ehemalige Minister Müller. Und einer der Hauptaktionäre der Ruhrkohle AG ist - E.ON.
Wie kommt es, dass solche Amtswechsel, Karrieren und Geschäfte möglich sind? Nicht nur Stiglitz fordert, dass das »Drehtürsystem«, bei dem Menschen zwischen Wirtschaft und Politik ungebremst hin und her wechseln können, ein schnelles Ende haben muss, und zwar im überragenden Interesse der Allgemeinheit. Moral in die Politik zu implementieren bedeutet, zu verhindern, dass eine kleine Schar von Cleveren sich wechselseitig die Liegestühle freihält, wie bei unserem Beispiel mit dem Dampfer. Es bedeutet, die Spielräume für Missbrauch kleiner zu machen und dafür zur sogen, dass nicht Unfairness, sondern Fairness die allgemeinen Spielregeln bestimmt.
In diesem Sinne ließe sich das Drehtürproblem leicht lösen. Ein paar klare Regeln könnten es Spitzenpolitikern, wie etwa Ministern, verbieten, nach dem Ende ihrer Amtszeit in einen Wirtschaftszweig zu wechseln, der deutliche Berührungspunkte mit ihrer vorhergehenden Tätigkeit im Namen des deutschen Volkes hat. Die jüngste Mode, wonach Spitzenpolitiker inzwischen schon in den vergleichsweise jungen Jahren von Anfang fünfzig ihren vom Volk verliehenen Einfluss dazu nutzen, lukrative Jobs in der Wirtschaft zu übernehmen, wäre damit passé. Und Elder Statesmen wären wieder Elder Statesmen und nicht Elder Salesmen.
Im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik ist es schon erstaunlich, in welch kurzer Zeit hier überall die Dämme brechen konnten. Während es in den ersten vierzig Jahren des Landes nur sehr wenigen Spitzenpolitikern in den Sinn kam, Politik als Durchgangsposition zu besser bezahlten Jobs zu nutzen, scheint dieses Verhalten heute völlig normal und weit verbreitet. Doch die Gefahren, die damit verbunden sind, sind offensichtlich. Wie sollen Wähler Spitzenpolitikern Vertrauen entgegenbringen, wenn sie nicht wissen, ob deren Entscheidungen nicht durch Versprechungen für nebenher und nachher - also durch legale Korruption - beeinflusst sind? Dass diesem Vertrauensverlust
mit deutlichen Maßnahmen entgegengewirkt werden muss, in diesem Punkt sind sich vermutlich alle einig - mit Ausnahme der Politiker selbst und derjenigen, die von ihnen finanziell profitieren.
Das Verbot schneller Drehtüren scheitert sicher nicht daran, dass die Bevölkerung sich in dieser Frage besonders uneinig wäre. Vielmehr wird ein solches Gesetz deswegen nicht gemacht, weil viele Politiker hier ganz andere Interessen haben als ihre Wähler. Doch gerade für solche Gefahren benötigt unsere Demokratie eine Möglichkeit zur Korrektur.
Lobbyisten bekommen in Deutschland vielfach die Politik, die sie wollen, sei es durch eine Parteispende, durch beharrliche Freundlichkeit oder eben durch lukrative Jobangebote. Kein Wunder, dass viele wichtige Weichenstellungen in die Zukunft, ja nahezu der gesamte ökologische Umbau der Industriegesellschaft, immer wieder behindert und blockiert werden. Schon die Ökonomen der Freiburger Schule witterten diese Gefahr. Ihr Gegenrezept allerdings war heillos romantisch. Danach sollte der Staat nicht in größerem Stil als Auftraggeber für die Wirtschaft auftreten, um sich auf diese Weise unabhängig zu halten. Doch wer soll die Züge für die Bahn bauen, die Autos für die Müllabfuhr? Wer errichtet unsere Schulen und stattet unsere Krankenhäuser aus?
Die Sorgen Walter Euckens vor der Übernahme des Staates durch die Lobbyisten der führenden Wirtschaftsunternehmen und der Hochfinanz waren berechtigt, die vorgeschlagenen Mittel dagegen eher hilflos. Mehr noch als Berlin trägt Brüssel heute das Etikett einer »Welthauptstadt des Lobbyismus«. Nach Angaben von ALTER-EU, dem Dachverband der in Brüssel ansässigen Bürgerrechtsorganisationen, der sich für mehr Demokratie und Transparenz einsetzt, nahmen im Jahr 2009 insgesamt 286 Beratungsfirmen Einfluss auf
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