Die Kunstjaegerin
mittlerweile sein. Jahrzehntelang hatte er als Schulwart gearbeitet und jahrzehntelang hatten ihn die Kinder mit seiner Verwirrtheit aufgezogen.
»Ambrosius, komm setz dich zu uns. Ich spendiere dir einen Apfelsaft«, sagte Theresas Mutter und deutete auf den Platz neben sich.
»Danke, Frau Heller. Und die Resi … Schad is um dein Vata.
Jetzt liegt er auch da unt. Und schuld sin nur die Russn«, kicherte er.
Theresa rollte mit den Augen, wie sie es bereits als Kind bei seinem Anblick getan hatte. Ihre Mutter stieß sie in die Seite, flüsterte ihr zu, dass er es schwer gehabt habe und sie höflicher sein solle. Dann winkte sie der Kellnerin.
Ambrosius murmelte weiter: »A guta Mensch war er, da Hermann. Wir habm die Fürstin besucht, aba da wars tot. Oda ned?
Jaja, nein, war scho so.« Er nickte, dann fiel sein Kopf nach vorne, als würde er jeden Moment einschlafen.
Theresa sah ihre Mutter fragend an. Die packte den alten Mann an der Schulter und schüttelte ihn sanft. »Ambrosius, dein Getränk ist da. Möchtest du auch etwas essen?«
»Gern, a Suppn bitte.« Neugierig sah er Theresa wieder an.
»Groß bist wordn. Pass auf, dass dich d’ Engländer ned mitnehman.
Meina Schwesta is es passiert.« Er schmunzelte und trank gierig aus seinem Glas.
»Lassen wir ihn einfach reden, das braucht er. Auch wenn es nur wirres Zeug ist. Er lebt noch oder wieder im Krieg«, flüsterte die Mutter und nickte Ambrosius zu, der erneut zum Sprechen ansetzte.
»Und hüt dich vor den Italienern, die hobm mei Ilse umbrocht.«
Seine wässrigen, blutunterlaufenen Augen füllten sich mit Tränen, er seufzte leise und starrte stumm in die Luft. Als die Suppe kam, schlürfte er hastig einen Löffel nach dem anderen. Nachdem sie alle gegessen hatten, bedankte er sich höflich, stand auf und klopfte Theresa auf die Schulter. »Morgen ned wieda z’spät in d’ Schul kummen, gö?«
»Den Kaffee trinken wir bitte zu Hause«, sagte Theresa, als Ambrosius das Gasthaus verlassen hatte. »Ich möchte gerne ungestört mit dir reden.«
Ihr altes Zuhause war eine zweigeschossige Villa aus der Jahrhundertwende, die in einer Hügellandschaft eingebettet etwas außerhalb des Pöllauer Ortskerns lag. Hinter dem Gebäude stand ein prächtiger Apfelbaum, von dem Theresa als Kind mindestens dreimal hinuntergefallen war, wobei ihr älterer Bruder Lorenz zweimal mit einem kleinen Stoß nachgeholfen hatte.
In dem Moment, als ihre Mutter den Schlüssel ins Schloss steckte, fiel ein vom Wind gelockertes Stück Putz zu Boden. Das Stuckornament über der Tür, das den Weingott Dionysos zeigte, begann zu bröseln. Auch die Mauerfarbe blätterte ringsum ab. Als könne ihre Mutter Gedanken lesen, sagte sie: »Ich muss es wieder streichen lassen. Ständig ist etwas zu tun. Das Haus verfällt wie …« Sie verstummte und Theresa wusste sofort, dass sich ihre Mutter vor dem eigenen Gedanken erschrocken hatte.
Sie gingen hinein, stiegen die knarrende Holztreppe hinauf und öffneten die Tür zum Wohnzimmer. Der Duft nach dem Pfeifentabak ihres Vaters hatte sich in den Möbeln festgesetzt.
Sofort beschlich sie das Gefühl, er könnte jeden Moment ins Zimmer kommen. Nein, er war nie einfach nur ›hereingekommen‹, er war stets erschienen. Wie ihre Mutter es schaffte, in diesen vier Wänden weiterzuleben? Alles erinnerte an ihn: jedes alte Buch, jeder Kerzenleuchter, jedes Kruzifix.
Theresa setzte sich auf einen weinroten, durchgewetzten Samtfauteuil und betrachtete den dunklen, viereckigen Abdruck an der Wand gegenüber. Hier hatte der Sustermans gehangen.
»Kannst du mir mehr über die ›Krönung‹ erzählen?«, fragte sie ihre Mutter, die gerade mit der Kaffeekanne aus der Küche kam.
»Wieso habt ihr nicht versucht herauszufinden, wer der Maler ist?«
»Vielleicht haben wir nie den Zettel auf der Rückseite entdeckt, ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern.«
»Aber Papa muss ihn gesehen haben, er hätte sich doch erkundigen müssen.«
»Überleg mal, wie das war in den 70er-Jahren. Damals gab es kein Internet …«
»Unvorstellbar«, unterbrach sie Theresa.
» … und keine Bibliotheken am Land. Schon gar nicht mit kunstgeschichtlichen Fachbüchern. Er wird wohl seine Freunde gefragt haben, den Volksschuldirektor, den Pfarrer«, fuhr ihre Mutter fort. Sie nahm einen Schluck Kaffee und überlegte kurz.
»Nach Wien in die Nationalbibliothek ist er nicht gefahren. Ich glaube, damals hat er gerade sein Flugzeug in der Garage gebaut –
Weitere Kostenlose Bücher