Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
frieren. Wenn er nicht bald ein warmes Plätzchen fände, zudem noch Winterkleidung bekäme, dann würde der Frost das erledigen, was den gedungenen Mördern nicht geglückt war. Doch er konnte nicht lange nach einem Ofen suchen – keinen Wimpernschlag hielt es ihn länger in der Stadt, in der er niemandem mehr trauen konnte. Kardinal Morone vielleicht, sicher war sich Vasari indessen nicht. Und selbst wenn Morone der war, für den er ihn hielt, durfte er ihn keinesfalls kompromittieren. Sein Heil lag in der Flucht. Vasari beschloss, nach Florenz zu reiten und sich unter den Schutz Francescos I., des Großherzogs von Toskana, zu stellen. Was er immer befürchtet hatte, seit er das Geheimnis kannte, war nun eingetreten. Seine unfreiwillige Mitwisserschaft war einem mächtigen Mann, der es nicht dulden konnte oder wollte, dass jemand sein Geheimnis teilte, nicht verborgen geblieben.
Vasari hatte die Uferstraße, die den Borgo mit Trastevere verband, erreicht, passierte die Kasematten der Engelsburg, überquerte die Brücke über den Tiber und wandte sich schließlich dem Campo Marzio zu. Auf dem Pflaster hallten die Hufe seines Pferdes verloren wider. Zwei zerlumpte Gestalten wollten sich ihm in den Weg stellen, verzichteten jedoch darauf aus Angst, unter die Hufe des kräftigen, rasch dahintrabenden Schimmels zu geraten. Wer sein Leben liebte, vermied es, um diese Zeit Roms Straßen zu benutzen, denn sie gehörten in der Nacht den Dieben, Mördern und Perversen. Ihre Opfer fischte man für gewöhnlich am nächsten Tag aus dem Tiber. Ihm blieb nur übrig, um Gottes Beistand zu bitten, sein Pferd anzutreiben und sich warme Gedanken zu machen.
Giorgio Vasari, Ritter vom Goldenen Sporn, verließ im Februar 1574 zu später Stunde Rom durch die Porta del Popolo und wandte sich nach Norden. In Ronciglione klopfte er halb erfroren und mehr tot als lebendig den Wirt eines Gasthauses aus den Federn und ließ sich eine fette Hühnerbrühe und einen Glühwein servieren, bevor er versuchte, ein paar Stunden zu schlafen.
Das Zimmer war klein. Die Fensterlöcher hatte man wegen der Kälte mit Holzbrettern verschlossen, weshalb es in dem Raum nach abgestandenem Schweiß und nach anderem, was man besser nicht genauer wissen wollte, stank. Die Decken, die auf der Schlafstatt lagen, starrten vor Dreck und rochen muffig. Doch Vasari hatte keine Wahl. Unruhig wälzte er sich in dem schmalen Holzbett hin und her. Kaum eingeschlafen, wachte er mit dem Gefühl, von Wanzen gestochen zu werden, wieder auf. Schließlich weckte er abermals den Wirt, kaufte ihm ein Rapier und einen Fellmantel ab, der seinen modischen Ansprüchen nicht im Mindesten entsprach, ließ sein Pferd vorführen und ritt in die Dämmerung des anbrechenden Tages.
Es hörte auf zu schneien, und der einsetzende Frost ließ die Schneekristalle verharschen. Wind kam auf. Nicht die Nacht, sondern der frühe Morgen brachte die kältesten Stunden, wenn die letzte Wärme des Vortages aufgebraucht war. Während die Sterne langsam verblassten, erfroren die Menschen.
Die eisigen Temperaturen hatten Vasari fest im Griff, weil sein überanstrengter Körper zu wenig Wärme erzeugen konnte. Es ist schon zu viel Tod in mir, dachte er bitter. Wenn er Florenz lebend erreichen sollte, nahm er sich vor, als Erstes ein warmes Bad mit Lavendel, Kardamom, Melisse und Latschenkiefernöl zu nehmen.
60
Auf der Straße zwischen Rom und Florenz
Anno Domini 1574
Am Morgen erreichte Vasari die Stadt Viterbo. Er nahm ein üppiges Frühstück ein und trank viel heißen Wein mit Honig und Nelken. Danach ließ er sich in der kleinen Filiale des Bankhauses Bardi Geld aushändigen, kaufte anständige, warme Kleidung, tauschte das Pferd und machte sich wieder auf den Weg. Reichlich benebelt, wie er feststellte, aber auch das erste Mal seit seiner Flucht ohne zu frieren. Eine Weile jedenfalls.
Gegen Mittag traf er in Montefiascone ein, wechselte erneut das Pferd und galoppierte weiter. Früher hatte er immer auf dem Weg zwischen Rom und Florenz am Lago di Bolsena Station gemacht und die Aussicht auf das Wasser und die umliegenden Berge genossen, aber dazu fehlte ihm diesmal die Ruhe. Er war vorsichtig, und die Vorsicht verbot, sich in dem naiven Glauben zu wiegen, dass seine Verfolger aufgegeben hätten – auch wenn ihm niemand aufgefallen war, der ihm an den Fersen hing.
Seine nächste Station war San Lorenzo. Von einer inneren Unruhe getrieben, ließ er sich auch hier nur ein neues Reittier geben
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