Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Baldachin über der letzten Ruhestätte des ersten Stellvertreters Christi. Oder vier mächtige Säulen erhoben über den Mittelpunkt der Kirche Gottes die größte Kuppel der Welt.
Noch vor wenigen Tagen hatte sich Bramante mit dem Buch gequält, darin gelesen, etwas geahnt, anderes versucht zu deuten, aber letztlich nichts verstanden, weil er nach Art der Philosophen versucht hatte, die Texte zu deuten. Doch vor ihm lag kein philosophisches Werk, sondern das »Buch der Baumeister«. Und er war ein Baumeister, also musste er es auch als Baumeister lesen. Von einer drückenden Last befreit, brach er in ein lautes Lachen aus, das seinen Körper erbeben ließ und ihm Tränen in die Augen trieb.
»Was ist dir, mein kleiner Vielfraß? Ist alles in Ordnung?«, fragte Imperia besorgt.
»Ja, aber ja«, strahlte er, umarmte sie fest und hob sie hoch, dass ihr Hören und Sehen verging. Sie strampelte mit den Beinen. »Lass mich runter, du verfluchter Kerl!« Aber er dachte nicht daran.
»Was war ich nur für ein Dummkopf!«, rief er immer wieder, während er sich mit ihr im Kreise drehte. »Ich hatte die ganze Zeit die Lösung vor mir und habe sie nicht gesehen. Ich hätte das Buch, das der Jude übersetzt hat, nur wortwörtlich lesen und das Gesagte im Wortsinn verstehen müssen, statt mir den Kopf darüber zu zerbrechen, was es symbolisiert.«
»Da du das jetzt begriffen hast, kannst du mich ja wieder loslassen!«, keuchte Imperia außer Atem.
Er hatte versucht, alles Mögliche in den Text hineinzudeuten, dabei hätte er nur seinen ersten Gedanken über die Vierung und die Kuppel treu bleiben und freilich in dem Stellvertreter nur den Stellvertreter Christi, der unter Sankt Peter begraben lag, erkennen müssen. Wie Rom das neue Jerusalem war, so würde der Petersdom der neue salomonische Tempel werden. Es mochte vermessen sein, aber begann die Hybris nicht bereits damit, den ersten Schrei in dieser Welt aus Dreck und Blut zu tun? Die Selbstüberhebung begann mit dem Ich. Alles Weitere folgte doch nur aus dieser allerersten Tatsache des Lebens. Sicher verbrachten die meisten ihre Zeit auf Erden nur damit, hinter die ungeheure Anmaßung des ersten Schreis wieder zurückzufallen, als würden sie sich dafür entschuldigen. Aber nicht er, nicht Bramante!
Die vielen Jahre, die er mit Bauen und Studieren, mit dem Vermessen der antiken Ruinen und dem Studium ihrer Bauweise zugebracht hatte – würde er all das nicht verleugnen, sich nicht selbst entehren, wenn er in diesem Augenblick zurückwich? Durfte er die Umsterblichkeit nun, da sie sich ihm darbot, vorbeiziehen lassen, anstatt ihren flüchtigen Rockschoß zu ergreifen und nicht mehr loszulassen, bis sie ihn zum ewigen Gedächtnis emporgetragen hätte? Die alten Römer hatten ihre Gräber an den Straßenrändern errichtet, um die Passanten und Reisenden zu nötigen, an sie zu denken. Er hingegen würde sich in der Hauptkirche des Abendlandes verewigen!
Als Bundesbruder der Fedeli, als Nachfolger Dantes und Gefährte Pico della Mirandolas war er dazu verpflichtet, dieses Werk der guten Baukunst zu beginnen, um das Vermächtnis all dieser Männer zu erfüllen. Das hatte er damals in Ravenna in der alten Kirche San Vitale geschworen. Auch wenn der Bund nicht mehr existierte, so lebten doch seine Ideale in ihm weiter. Es nicht zu wagen, würde bedeuten, den großen Dichter und den ermordeten Freund zu verraten.
Ob Bramante jemals den Mörder des Philosophen finden und bestrafen würde, blieb dahingestellt, doch diese Frage verblasste vor der Größe der Aufgabe, die plötzlich vor seinem geistigen Auge erstand. Vermessen und absolut unwiderstehlich zugleich posierte die Idee vor ihm. Ihm schwindelte. Er griff nach dem Weinpokal und leerte ihn in einem Zug.
»Na, mein Dickerchen, willst du es wagen?«, fragte Imperia gespannt. Ihre Augen glänzten, ihr leicht spöttisches Lächeln provozierte ihn. »Oder traust du dich nicht?«
»Metze!«, fluchte er. In diesem Moment liebte und hasste er sie wie niemanden sonst auf der Welt.
»Ich kann mit der Idee auch zu unserem kleinen Bildhauerengelchen gehen«, sagte Imperia schnippisch und zog die Augenbrauen nach oben.
Bramante erblasste. »Dann erschlag ich dich!«, entfuhr es ihm.
»Ach was! Sterben werden wir ohnehin zu früh, was willst du dir erst die Mühe machen?«
Bramante hörte ihr schon nicht mehr zu, denn seine Gedanken kreisten bereits wieder um das Projekt. Entweder stammte die Idee von Gott oder vom
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