Die langen Schatten der Erleuchtung
einen kräftigen Schluck. Hubertus ließ das Etui mit den Zigaretten herumgehen. Sie rauchten und schwiegen. Es gab nichts mehr zu sagen. Nach einer Weile hakten sich Hubertus und Mathilda wie auf ein geheimes Kommando ein, begannen zu singen und sich dabei hin- und her zu wiegen. Bei jedem weiteren Schluck aus der Flasche riefen sie laut: „Helau!“
„Vermutlich ist es so etwas ähnliches wie ein Mantra!“, erklärte Jojo dem ratlosen Hanif.
Als sich der Inhalt der grünen Flasche langsam dem Ende zuneigte, hatte Mathilda schon begonnen, selbstvergessen zu tanzen, während Hubertus lärmend dazu sang. Er wühlte dabei in seinem Rucksack und förderte nach einer ausgiebigen Suche eine lange goldene Kette mit einem Orden zutage, wie sie in seiner Heimat zum Karneval verliehen wird. Er erhob sich und versuchte, sich einen feierlichen Anstrich zu geben, doch es war auffallend, wie sehr er schwankte. Schließlich nahm er wieder Haltung an wie ein angetrunkener Soldat, der unbemerkt den Wachposten passieren will, und gab Mathilda ein Handzeichen, ihren Tanz zu unterbrechen.
„Unsere Suche war lang und beschwerlich“, begann er salbungsvoll mit schwerer Zunge, „und wenn man unsere Anstrengungen an der gefundenen Wahrheit misst, dann fällt sie für uns auf den ersten Blick ein wenig mager aus: ein einfaches Leben!“
Mathilda nickte und wiegte sich dabei in den Hüften.
„Doch wir haben diese Wahrheit zu akzeptieren! Man kann sich keine Wahrheiten aussuchen“, fuhr Hubertus fort, „und als Zeichen, dass wir diese Wahrheit annehmen und unsere Suche einstellen, überreichen wir dir, lieber Jojo, diesen schlichten Orden!“
Mit diesen Worten schritt Hubertus etwas schlingernd auf den sitzenden Jojo zu, breitete die Kette feierlich zu einem Oval aus und hängte sie Jojo um den Hals. An seiner breiten Brust sah der Orden mit dem glänzenden Messing und den funkelnden, bunten Glasstücken wie ein Geschmeide von unschätzbarem Wert aus. Hubertus und Mathilda verbeugten sich tief vor Jojo, der freundlich lächelte. Sie hatten sich nun um die Hüften gefasst und wirkten gerührt. Dann hielt Hubertus die grüne Flasche hoch über seinen Kopf, trank aus ihr einen gewaltigen Schluck, ehe er sie Mathilda reichte, die den Rest leerte. Sie stützten sich gegenseitig auf dem Weg in das Innere der Höhle. Wenig später hörte man das Schnarchen von Hubertus und den gleichmäßigen Atem von Mathilda.
Die tropische Nacht fiel jetzt urplötzlich wie das schwarze Tuch eines Zauberers über die Landschaft. Es dauerte noch eine ganze Weile, ehe Hanif das Schweigen unterbrach.
„Meister Jojo?“
„Ja, Hanif!“
„Warum hast du das alles mit dir anstellen lassen? Warum hast du dir diese lächerliche Kette von diesem Mann umhängen lassen, der nicht einmal Herr seiner Sinne ist?“
„In seiner Welt wird es wohl eine der wesentlichen Beschäftigungen sein, solche Ketten zu verteilen oder zu empfangen! Was macht es schon, dass ich wie ein Narr aussehe? Ich werde diese Kette zu seiner Freude tragen, so lange er bei uns ist!“
„Woher weißt du das alles, Meister Jojo?“
„Ich habe die Gründe für mein Wissen vergessen!“
„Zu mir warst du nie so nachsichtig wie zu Hubertus, Meister Jojo!“
„Das ist richtig! Und das ist gut so, Hanif!“
„Noch eine letzte Frage, Meister Jojo?“
„Ja, Hanif!“
„Warum hast du den beiden gegenüber verleugnet, dass du ein erleuchteter Weiser bist?“
„Warum sollten wir unseren eigenen Sitz aufgeben
und in den staubigen Gefilden fremder Länder umherwandern?“
Dogen Zenji
Die Abmachung oder wie Hubertus und Mathilda die Nagelprobe auf die Weisheit machen.
Als Hubertus und Mathilda erwachten, war es schon heller Tag. Hubertus hielt sich den Kopf und stöhnte. „Vielleicht sollten wir uns im Bach erfrischen“, meinte Mathilda, „ich fühle mich auch hundsmiserabel!“ Hubertus nickte dumpf. Hand in Hand verließen sie die Höhle. Hubertus trug über der Schulter einen Beutel aus Sackleinen mit frischer Wäsche. Vor der Höhle sahen sie Jojo regungslos mit gekreuzten Beinen auf der Felsplatte sitzen. Er war in sich versunken und seine Augen waren geschlossen. Die beiden waren froh, ihn in ihrem Zustand nicht grüßen zu müssen.
Hinter dem Plateau hatte der Bach eine Ausbuchtung in der Form eines Bassins in das Gestein gewaschen. Von der Felswand stürzte ein Wasserfall in die Tiefe. Sie zogen sich aus und glitten fröstelnd in das kühle Wasser.
„Ach“,
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