Die langen Schatten der Erleuchtung
vermuten!“
„Wie weise du bist, Hanif! Ich bin mir sicher: nie hatte ein Meister solch einen Schüler wie dich, von dem er so viel lernen konnte!“
„Ich sag‘ euch das, Kinners, das gibt Ärger!“
Harald
Schanzenviertel oder wie die Neuankömmlinge ihre ersten Schritte im Asphalt-Dschungel unternehmen.
Mit einer Hand am Steuer fuhr der füllige Taxifahrer den Wagen vom Flughafen durch den Feierabendverkehr. Den linken Ellenbogen lehnte er dabei lässig aus dem Fahrerfenster. Bei jedem Ampelstopp fluchte er, und eine Knoblauchfahne wehte durch den Wagen. Er kaute auf den Enden seines gewaltigen Schnauzbartes, trommelte nervös auf dem Lenkrad herum und steckte sich eine weitere Zigarette an. Hanif beobachtete fasziniert das Farbenspiel der Ampelsignale.
„Schau ´mal, Meister Jojo“, meinte er, „die Wagen fahren alle bei unterschiedlichen Farben - die einen bei Grün, andere wieder bei Gelb und manche bei Rot. Wenn sie alle bei einer Farbe fahren würden, was für ein Durcheinander das gäbe! Wie weise die Menschen hier doch sind!“
„Ich bin mir nicht sicher, Hanif“, antwortete Jojo, „mir kommt das alles sehr aufgeregt und laut vor. Ich glaube, wir dürfen uns von den leuchtenden Farben nicht so beeindrucken lassen!“
„Du hast wieder einmal recht, Meister Jojo“, lenkte Hanif ein, „diese verschiedenen Farben sind sicherlich sinnvoll, aber was bedeutet das schon gegenüber deiner Weisheit!“
Der Taxifahrer schnitt im Schanzenviertel rasant die letzte Kurve, die in eine Sackgasse mündete, und parkte den Wagen vor einer maroden Stadtvilla. Durch den kleinen, verwilderten Garten sah man das zweigeschossige Haus, dessen gelber Anstrich an einigen Stellen bereits abblätterte. „Waterlooallee 7!“, knurrte der Taxifahrer und musterte Jojo und Hanif auf der Rückbank durch seine verspiegelte Sonnenbrille und deutete dann auf das Taxameter. Jojo suchte unter seinem Hemd in der Brusttasche nach dem Geldschein.
„Okay!“, sagte der Fahrer und tat so, als sei die Bezahlung damit geregelt. Natürlich war auch ihm – wie dem Mann mit der Sackkarre - nicht entgangen, dass sich hier eine gute Gelegenheit bot, seinen mageren Lohn etwas aufzubessern. Er trommelte wieder ungeduldig auf sein Lenkrad, drehte sich auf seinem Sitz nach hinten und öffnete die Tür auf Jojos Seite. Doch der in weltlichen Dingen etwas erfahrenere Hanif legte seine Hand auf den Oberschenkel von Jojo und bedeutete ihm, sitzen zu bleiben. Als die beiden sich nicht rührten, fingerte der Taxifahrer seufzend aus seiner Geldbörse zwei Scheine heraus, hielt sie hoch und meinte: „One for you and one for me?“
Jojo lächelte still. Der Fahrer grinste und reichte einen der Scheine nach hinten. Jojo nahm ihn entgegen und verstaute ihn sorgfältig in seiner Brusttasche neben den anderen Papieren. Als Jojo und Hanif ausgestiegen waren, deutete er nochmals auf die baufällige Villa. Dann hob er die Hand am offenen Fahrerfenster und verabschiedete sich mit einem Augenzwinkern: „One for you and one for me!“
„Ich befürchte, Meister Jojo“, sagte Hanif, „eben haben wir wieder einen Rucksack aus den Augen verloren!“
„Das sehe ich nicht so, mein lieber Hanif! Ich bin mir sicher, wir haben diesmal einen Rucksack geteilt. Das ist doch schon ein Fortschritt! Teilen ist immer eine gute Sache!“
„So habe ich es bisher noch nicht sehen können!“
„Wie auch immer, das hier scheint die Höhle von Hubertus und Mathilda zu sein! Wir sind am Ziel! Wir brauchen nur noch einzutreten!“
„Ich werde vorausgehen, Meister Jojo. Ich habe schon einige Erfahrung mit Höhlen dieser Art!“
Mit diesen Worten öffnete Hanif die Gartentür. Über einen Plattenweg gingen sie an mehreren Fliederbüschen vorbei zur Haustür. Sie stiegen die wenigen Stufen zur Tür hinauf, und Hanif drückte auf den Messingknopf der Klingel. Eine Weile geschah nichts, dann hörten sie klappernde Schritte eine Holztreppe hinunter stürmen, die Haustür wurde aufgerissen und vor ihnen stand eine mittelgroße, mollige Frau in den Dreißigern mit kurzen, dunklen Haaren. Ihre braunen Augen wanderten von Jojo zu Hanif und wieder zurück. „Habt ihr scharfe Klamotten an!“, staunte sie. Dann drehte sie sich um und rief nach hinten: „Jutta, komm´ mal her, wir haben Besuch. Und was für welchen! Du wirst es nicht glauben!“
„Ich koooommeee,
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