Die Larve
glühenden Zigarette hinter ihr stand. Die Vorderlastige bemerkte es und musste, einen Schritt zur Seite taumelnd, selber lachen.
»Komm schon, zier dich nicht so«, sagte sie in dem Sørlandsdialekt der Kronprinzessin. Angeblich hatte sich eine Hure der Stadt eine goldene Nase damit verdient, wie die Kronprinzessin auszusehen, wie sie zu sprechen und sich wie sie zu kleiden. Die fünftausend Kronen, die sie pro Stunde verlangte, sollten ein Plastikzepter einschließen, mit dem ihre Kunden so ziemlich alles anstellen durften.
Die Hand der Frau legte sich auf seinen Arm, als er weitergehen wollte. Sie lehnte sich zu ihm vor und blies ihm ihren Rotweinatem ins Gesicht.
»Du scheinst ein netter Kerl zu sein. Willst du mir nicht … Feuer geben?«
Er wandte ihr die andere Seite seines Gesichts zu. Die schlechte Seite. Die Nicht-so-netter-Kerl-Seite. Sie zuckte zurück und ließ ihn los, als sie das Andenken aus dem Kongo sah, die Narbe, die der Nagel hinterlassen hatte und die sich als schlecht genähter Riss vom Mund bis hinauf zum Ohr zog.
Er ging weiter, und ein anderes Lied wurde gespielt. Nirvana. Come As You Are . Die Originalversion.
»Hasch?«
Die Stimme drang aus einer Toreinfahrt zu ihm, doch er ging weiter, ohne sich umzudrehen oder stehen zu bleiben.
»Speed?«
Er war seit drei Jahren clean und hatte nicht vor, jetzt wieder anzufangen.
»Violin?«
Ganz sicher nicht jetzt.
Vor ihm auf dem Bürgersteig war ein junger Mann neben zwei Dealern stehen geblieben. Er redete mit ihnen und zeigte ihnen etwas. Der Junge blickte auf, als er näher kam, und richtete seine grauen Augen prüfend auf ihn. Polizeiblick, dachte der Mann und schaute zu Boden. Sicher war das reichlich paranoid, denn es war höchst unwahrscheinlich, dass ein derart junger Polizist ihn erkannte. Da war das Hotel. Die Herberge. Das Leons.
Dieser Abschnitt der Straße war fast menschenleer. Nur auf der anderen Straßenseite standen zwei Leute. Einer davon war der Dopekäufer in der Fahrradmontur. Er stand breitbeinig über seinem Rad und half einem anderen Fahrradfahrer in ebenso professioneller Bekleidung, sich eine Spritze in den Hals zu setzen.
Der Mann in dem Leinenanzug schüttelte den Kopf und blickte an der Fassade vor ihm empor.
Noch immer hing das gleiche verdreckte Banner zwischen der vierten und der obersten Etage. »Vierhundert Kronen pro Tag!« Alles war neu. Nichts war anders.
Der junge Mann an der Rezeption des Leons war neu. Er empfing den Gast im Leinenanzug mit einem überraschend freundlichen Lächeln und – für das Leons – erstaunlich wenig Misstrauen. Ohne eine Spur von Ironie in der Stimme begrüßte er ihn mit einem »Welcome« und bat um seinen Pass. Der Mann nahm an, dass er wegen seiner braungebrannten Haut und dem Leinenanzug für einen Ausländer gehalten wurde, und hielt dem Hotelangestellten seinen roten norwegischen Pass hin. Er sah abgenutzt aus und hatte viele Stempel. Zu viele, um von einem guten Leben zu zeugen.
»Oh«, sagte der Mann an der Rezeption und gab ihm den Pass zurück. Legte ein Formular auf die Theke vor sich und reichte ihm einen Stift.
»Die angekreuzten Felder reichen.«
Ein Eincheckformular im Leons?, dachte der Mann. Vielleicht war doch etwas anders geworden. Er nahm den Stift entgegen und sah, wie der Blick des Mannes auf seinem Mittelfinger ruhte. Auf dem, was einmal sein Mittelfinger gewesen war, ehe dieser ihm in einem Haus am Holmenkollåsen abgetrennt worden war. Das untere Glied war durch eine matte blaugraue Titanprothese ersetzt worden. Gut zu gebrauchen war sie nicht, diente aber immerhin als Stütze für Ring- und Zeigefinger, wenn er etwas greifen wollte, und war – da eher kurz – nicht im Weg. Der einzige Nachteil waren die unvermeidlichen Erklärungen, die er an jedem Flughafen abgeben musste, wenn er durch die Sicherheitskontrolle wollte.
Er schrieb seinen Namen hinter First Name und Last Name .
Date of Birth.
Als er das Datum notierte, dachte er, dass er wieder mehr wie ein Mann Mitte vierzig aussah und weniger wie der mitgenommene, verletzte Alte, der hier drei Jahre zuvor ausgecheckt hatte. Seither hatte er sich einem strengen Regime unterzogen. Training, gesundes Essen, ausreichend Schlaf und – selbstverständlich – hundertprozentige Abstinenz. Das Regime zielte nicht darauf ab, jünger auszusehen, sondern zu überleben, nicht zu sterben. Außerdem passte es ihm ganz gut in den Kram. Feste Tagesabläufe, Disziplin und Ordnung waren ihm schon
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