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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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schließlich zu einer klaren Selbstschutzmaßnahme entschlossen, den ganzen Scheiß unter den Teppich gekehrt und die Plata geschlossen.
    Der Mann in dem Leinenanzug beobachtete einen Mann, der in einem rotweißen Arsenal-Trikot auf einer Treppe stand, vor sich vier Menschen, die unruhig auf der Stelle traten. Der Kopf des Arsenal-Spielers drehte sich ruckartig wie bei einem Huhn nach links und rechts. Die Köpfe der vier anderen bewegten sich nicht, sie starrten nur den Jungen mit dem Trikot an. Ein Zug. Der Verkäufer auf der Treppe wartete, bis sie genug waren, bis der Zug voll war, fünf oder sechs Leute. Dann würde er das Geld für die Bestellungen entgegennehmen und sie zu dem Mann mit dem Dope führen, der irgendwo hinter der nächsten Ecke oder in einem Hinterhof wartete. Das Prinzip war einfach, derjenige, der das Dope hatte, kam nie in Kontakt mit dem Geld, und der mit dem Geld hatte nie Dope in den Taschen. Für die Polizei war es so deutlich schwieriger, auch nur einem von ihnen den Drogenhandel sicher nachzuweisen. Trotzdem stutzte der Mann in dem Leinenanzug, denn diese Methode war alt, sie war schon in den achtziger und neunziger Jahren angewandt worden. Als die Polizei aufgehört hatte, die kleinen Dealer auf der Straße zu jagen, ließen die Verkäufer die umständliche Vorgehensweise fallen und sammelten auch keine Leute mehr, sondern dealten einfach, sobald ein Kunde kam; das Geld in der einen Hand, den Stoff in der anderen. Hatte die Polizei den Kampf gegen die Kleindealer wieder aufgenommen?
    Ein Mann in Fahrradklamotten näherte sich ihnen. Helm, orange Brille und atmungsaktives Trikot in Signalfarben. Kräftige Oberschenkelmuskeln zeichneten sich unter den engen Shorts ab, und das Fahrrad sah teuer aus. Vermutlich nahm er es deshalb mit, als er dem Arsenal-Spieler mitsamt dem kleinen Trupp um die Ecke hinter das Gebäude folgte. Alles war neu. Nichts war anders. Aber es schienen weniger zu sein, oder täuschte er sich da?
    An der Ecke der Skippergata sprachen ihn die Huren in schlechtem Englisch an – »Hey baby!« , »Wait a minute, handsome!« , der Mann in dem Leinenanzug antwortete ihnen nur mit einem Kopfschütteln. Anscheinend eilte ihm der Ruf seiner Keuschheit oder seiner fehlenden finanziellen Möglichkeiten voraus, denn etwas weiter die Straße hinunter interessierten sich die Mädchen schon nicht mehr für ihn. Zu seiner Zeit hatten die Osloer Huren noch Jeans und Windjacke getragen. Und so viele wie jetzt waren es auch nicht gewesen. Damals hatten sie noch den Markt bestimmt, doch inzwischen war die Konkurrenz hart. Mit kurzen Röcken, hohen Absätzen und Netzstrümpfen. Die Afrikanerinnen schienen bereits zu frieren. Wartet nur, bis es Dezember ist, dachte er.
    Immer tiefer drang er in das Viertel Kvadraturen vor, das ursprüngliche Zentrum Oslos, das heute nur noch eine Asphalt- und Mauerwüste mit Verwaltungsgebäuden und Büros für gut fünfundzwanzigtausend Arbeitsbienen war, die sich auf den Heimweg machten, kaum dass es vier oder fünf Uhr geschlagen hatte. Dann überließen sie den Stadtteil den nachtarbeitenden Nagern. Bis zu der Zeit, in der Christian IV . diesen Stadtteil nach den Idealen der Renaissance mit quadratisch angelegten Straßenzügen neu erbauen ließ, waren die Einwohner von Kvadraturen von Feuern in Schach gehalten worden. Einer alten Überlieferung zufolge konnte man hier in jeder Schaltjahrnacht brennende Menschen zwischen den Häusern hindurchlaufen sehen und ihre Schreie hören, bis sie verbrannt und verdampft waren. Wenn es einem gelang, das Häuflein Asche aufzusammeln und hinunterzuschlucken, zu dem diese Menschen wurden, bevor der Wind sie forttrug, würde das Haus, in dem man selbst wohnte, niemals brennen. Wegen der Brandgefahr ließ Christian IV ., gemessen an dem bescheidenen Osloer Standard, recht breite Straßen bauen. Außerdem bestanden die Gebäude ganz unnorwegisch aus Ziegelsteinen. Vor ihm lag eine Bar, deren Tür offen stand.
    Eine grauenhafte Dancereggae-Version von Guns N’ Roses’ Welcome To The Jungle, die sowohl Marley und Rose als auch Slash und Stradlin verhöhnte, strömte nach draußen zu den vor der Tür stehenden Rauchern. Er blieb vor einem ausgestreckten Arm stehen.
    »Feuer?«
    Eine etwas füllige, vorderlastige Frau Ende dreißig sah zu ihm auf. Die Zigarette wippte auffordernd zwischen ihren rotgeschminkten Lippen.
    Er zog eine Augenbraue hoch und warf der Freundin der Frau einen Blick zu, die lachend mit einer

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