Die Last der Schuld
die Iris endete. Sie konnte sich noch lebhaft an diese Augen erinnern. Sie waren das Erste gewesen, das sie erblickte, als sie im Krankenhaus erwacht war. In jenem Moment hatte sie gewusst, dass sie überleben würde.
Lana wollte diesen Mann nicht mögen, und sie wollte schon gar nicht, dass er sich in ihrer Nähe aufhielt, aber sie konnte nicht umhin, ihn zu respektieren. Er hatte etwas getan, wozu sie selbst vermutlich nie in der Lage wäre. Er hatte das Schicksal unschuldiger Menschen in seinen Händen gehalten und entschieden, wer von ihnen leben und wer sterben würde.
Um eine solche Verantwortung beneidete sie ihn keineswegs.
»Haben Sie vor, hier zu übernachten?«, fragte er, ohne ihr den Blick zuzuwenden. Die Nacht hatte sich inzwischen herabgesenkt, und er betrachtete Lana in der spiegelnden Oberfläche der getönten Fensterscheibe.
Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss, als ihr schlagartig bewusst wurde, dass er sie dabei beobachtete, wie sie ihn beobachtete. »Nein. Ich bin so gut wie fertig. Erzählen Sie Ihrem Boss, sie hätten mich ausgiebig gefoltert, um etwas aus mir herauszubekommen, aber leider hatte ich nichts zu sagen. Ich will nicht, dass er einen schlechten Eindruck von Ihnen bekommt, nur weil sie bei dieser Mission versagt haben.«
»Wer sagt denn, dass ich versagt habe? Ich bin ein geduldiger Mensch, Lana.«
Lana schluckte aus reiner Gewohnheit einen derben Fluch hinunter, obwohl Stacie nicht einmal in Hörweite war. »Ich werde Sie morgen früh nicht hier reinlassen. Und dabei bleibtâs. Wenn Sie drauÃen in der Sonne brüten wollen, bitte, aber Sie werden sich nicht in diesem schönen kühlen Büro aufhalten.«
Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich musste schon an heiÃeren Orten ausharren.«
Daran bestand kein Zweifel. Er hatte vermutlich schneebedeckte Berge bestiegen und krokodilverseuchte Gewässer durchschwommen, glühende Wüsten ohne Wasser durchquert und mit einem einzigen Satz Gebäude übersprungen. Er war ein verdammter Superheld. Er hatte Hunderten von Menschen das Leben gerettet. Vermutlich konnte er auch übers Wasser gehen, wenn er es versuchte.
Warum konnte er nicht einfach verschwinden und sie in Ruhe lassen? Ihr Leben war so schon schlimm genug, ohne ständig daran erinnert zu werden, was sie in Armenien durchlitten hatte.
Und wenn einer dieser Terroristen, der seiner gerechten Strafe bislang entkommen konnte, herausfände, dass Caleb hier war, würde er vielleicht ahnen, was Lana damals gesehen hatte. Calebs Gegenwart war wie ein riesiges Neonschild mit der Aufschrift: »Zeugin. Schnappt sie euch!«
Sie musste ihn dringend loswerden. Und zwar sofort. Bevor sie noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
»Ich geh jetzt nach Hause. Versuchen Sie nicht, mir zu folgen, oder ich rufe die Polizei.«
»Ich habe einen Befehl«, war sein einziger Kommentar.
»Ihr Befehl interessiert mich nicht. Verletzung der Privatsphäre ist ein Verbrechen, mein Lieber.«
Ihre Drohung schien ihn nicht im Geringsten zu beeindrucken. Im selben Moment durchschaute Lana die unangenehme Wahrheit. Ganz gleich, was sie tat oder wo sie hinging, er würde ihr folgen. Er würde sie nicht eher in Ruhe lassen, bis sie ihm gesagt hatte, was er hören wollte â und dies würde sie auf keinen Fall tun. Nicht, solange ihr ihr Leben lieb war.
***
Caleb saà in seinem Auto vor Lanas verlassenem Wohnblock. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht zu fragen, ob er einen Blick in ihre Wohnung werfen durfte. Caleb kannte die Antwort, und er war keineswegs darauf erpicht, sich von ihr anschreien zu lassen.
Soweit er es von auÃen beurteilen konnte, war das Gebäude stark heruntergekommen und benötigte dringend einige Reparaturen. In Nähe des Highways waren mehrere Wohnblocks dieser Art renoviert und modernisiert worden, nicht so dieser hier. Er schien aus den Siebzigerjahren zu stammen, und seither hatte man offenbar nicht viel daran getan. Es standen kaum Autos auf dem Parkplatz, lediglich Lanas Saturn, sein eigener Wagen und ein uralter Ford Taurus, dessen Reifen auf dem Beton zu verrotten schienen.
Ringsum standen hohe Bäume, die das Gebäude vor Lärm und den Abgasen des Highways schützten. So hübsch sie auch sein mochten, boten sie doch zugleich eine hervorragende Deckung für jeden, der in Lanas Wohnung eindringen wollte. Ihre
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