Die Laute (German Edition)
Grübeleien führen in die Irre. Im Grunde ist das einzige Problem
deine
Eifersucht. Und das bereits seit jenem Augenblick, als der Blitz dich traf. Hinter oder unter all den quälenden Melodien in meinem Kopf liegt der Generalbass des Alleinseins. Der Grund liegt natürlich nicht in einem Mangel an Begegnungen, Menschen gibt es weiß Gott genug auf der Welt, sondern in meinem Unwillen oder meiner Unfähigkeit, mich mitzuteilen. Für die Hörenden bin ich eine Zumutung. Fast ist es wie mit der modernen Musik: Eine Kunst für Freaks. Rafał war der einzige, der sich die Mühe machte, sie zu erlernen.
Ulica Gontyna 4, Salwator. Ich war einmal hier, als Rafał und ich unseren Ausflug in die Karpaten gemacht haben. Das helle Leinenjackett schien ihm dann doch zu sommerlich für März, sodass er noch einmal kurz zu Hause vorbeifuhr, zumal Zwierzyniec fast auf dem Weg zur Benediktinerabtei von Tyniec liegt, und das Jackett gegen einen leichten Übergangsmantel tauschte. Er hatte mich ins Haus gebeten, doch ich zog es vor, im Wagen auf ihn zu warten.
Damals erschien mir der Verfall des Hauses noch romantisch, und ich habe Rafał um diesen Wohnsitz beneidet, eine Barockvilla, achteckig, wie die gar nicht weit entfernte Margarethenkapelle, nur ohne winkende Papststatue im Vorgarten. Ein verwilderter kleiner Park, heute würde ich ihn ›ungepflegt‹ nennen, mit Blick auf die Weichsel, in einem der teuersten Viertel der Stadt. Aber das alles, unser kurzer Besuch, meine flüchtigen Eindrücke, scheint mir bereits zu einem anderen Leben zu gehören. Unter dem bröckelnden Putz sind an vielen Stellen bereits die roten Ziegel sichtbar. Als habe man dem Haus an diesen Stellen die Haut abgerissen. In der Garageneinfahrt, wo früher Rafałs Sportwagen parkte, steht nun ein mittelgroßer Bagger, neben dem Eingangstor lehnt ein Lastenaufzug, daneben stapelt sich ein Haufen roter Schindeln. Das obere Stockwerk sieht unbewohnt aus, ungeputzte Fenster, keine Vorhänge. Auf einer Wäscheleine im Garten flattert ein einzelnes Geschirrtuch. Es muss dort schon vor langer Zeit vergessen worden sein, denn es hat inzwischen die Farbe welken Laubs angenommen.
Alles wirkt verlassen, selbst die Baustelle. Der Bagger ist von einer rostroten Staubkruste überzogen, und die obersten Schindeln auf dem Stapel haben bereits Moos angesetzt und sehen nicht viel jünger aus als ihre morschen Brüder auf dem Dach, die sie eigentlich ersetzen sollten.
Doch bevor ich das Tor zum Vorgarten auch nur berührt habe, öffnet sich die Haustür. Eine grauhaarige Frau, ganz in Schwarz gekleidet, tritt hinaus und ruft nach jemandem. Mich kann sie nicht meinen, denn ihr Blick ist auf das dichte Gestrüpp beiderseits der drei Eingangsstufen gerichtet, das früher einmal ein Rosenbeet war.
Ich brauche eine Weile, bis ich in dieser alten Frau die elegante Dame wieder erkenne, die während des Lutosławski-Wettbewerbs neben mir saß, Rafałs Mutter, und damals so viel jugendliche Kraft ausstrahlte, dass sie auch seine mütterliche Freundin hätte sein können.
Eine magere Katze, schwarz wie die Bluse und der Rock der Frau – man fragt, wer kleidet sich nach wem –, schleicht aus einem der Büsche und äugt misstrauisch in meine Richtung. Die Frau folgt dem Katzenblick und entdeckt mich endlich am Gartentor, kaum fünf Schritte von ihr entfernt.
Sie erkennt mich offenbar nicht wieder. Wir haben uns ja auch nur während des Konzertbesuchs einmal gesehen, und selbst dort nicht wirklich gesehen, sondern nur nebeneinander gesessen und in dieselbe Richtung geschaut. Auch im Krankenhaus war sie immer schon gegangen, vielleicht auch von Rafał fortgeschickt worden, ehe ich ihn besuchen kam.
Ich schreibe ihr meinen Namen auf. Womöglich hat Rafał ihn ja mal erwähnt. Sie nickt.
Dann frage ich nach ihrem Sohn. Offensichtlich wohnt er hier nicht mehr. Das ganze, ehemals heiter vor sich hin verfallende Haus scheint nur noch von schwarzen Katzen und vom Tod bewohnt zu sein.
»Rafał –« Sie sagt etwas. Meine Hände erklären ihr, dass ich sie nicht hören kann. Sie nickt erneut, diesmal ist es ein verstehendes Nicken. Offenbar erinnert sie sich nun.
»Rafał ist in eine eigene Wohnung gezogen«, schreibt sie auf meinen Block, »irgendwo in Łobzów.«
»Wie kann ich ihn erreichen?«
Sie zuckt mit den Achseln. Ihre Augen machen sich wieder auf die Suche nach der Katze, die hinter ihrem Rücken bereits durch die offene Tür ins dunkle Haus geschlüpft ist.
Dann schaut
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